Das Buch „1974 – Eine deutsche Begegnung: Als die Geschichte Ost und West zusammenbrachte“ von Ronald Reng beschreibt ein bedeutendes Ereignis in der deutschen Geschichte, das weit über den Sport hinausgeht. Am 22. Juni 1974 fand während der Fußball-Weltmeisterschaft in Westdeutschland das einzige Länderspiel zwischen der DDR (Deutsche Demokratische Republik) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) statt. Dieses Spiel, bei dem die DDR überraschend mit 1:0 durch ein Tor von Jürgen Sparwasser gewann, war nicht nur ein sportliches Highlight, sondern auch ein Moment, der die damalige politische und gesellschaftliche Situation in beiden deutschen Staaten widerspiegelte.
Ronald Reng nutzt dieses historische Fußballspiel als Ausgangspunkt, um eine vielschichtige Erzählung über das Leben in Ost- und Westdeutschland in den 1970er Jahren zu präsentieren. Das Buch beleuchtet, wie dieses Spiel nicht nur ein sportliches Ereignis war, sondern auch ein Brennglas, das die politischen und gesellschaftlichen Spannungen und Hoffnungen der Zeit sichtbar machte. Durch umfangreiche Recherchen und Gespräche mit Zeitzeugen gelingt es Reng, ein lebendiges Bild dieser Epoche zu zeichnen, in der die Teilung Deutschlands als dauerhaft und unüberwindbar erschien.
Die 1970er Jahre waren eine Zeit des politischen Wandels und der gesellschaftlichen Umbrüche. In der BRD hatte Bundeskanzler Willy Brandt mit seiner Ostpolitik versucht, die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten zu normalisieren, was auch die DDR einschloss. Diese Annäherung führte zu einer Lockerung der Grenzkontrollen und einer vorsichtigen Öffnung, was jedoch auch Ängste vor einem Kontrollverlust auf beiden Seiten auslöste. In der DDR führte der damalige Staatschef Erich Honecker eine Politik der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ ein, die wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Sicherheit verbinden sollte, aber auch die Kontrolle und Überwachung durch den Staat verstärkte.
Das Buch „1974“ ist mehr als nur eine Dokumentation dieses einen Fußballspiels. Reng erzählt Geschichten von Menschen auf beiden Seiten der Mauer, deren Leben durch das Spiel und die politische Situation beeinflusst wurden. So beschreibt er zum Beispiel das Leben von RAF-Terroristen in der Bundesrepublik, die sich zu dieser Zeit im Gefängnis befanden und deren Geschichten eng mit der politischen Situation verknüpft sind. Auch das Deutsche Theater in Ost-Berlin, wo am Tag des Spiels ein Stück aufgeführt wurde, das in der DDR als provokant und kritisch galt, wird beleuchtet.
Reng gelingt es, den Alltag in beiden deutschen Staaten lebendig darzustellen. Er zeigt, wie unterschiedlich das Leben in Ost und West war, aber auch, wie die Menschen auf beiden Seiten der Mauer ähnliche Hoffnungen, Ängste und Träume hatten. Das Buch geht dabei nicht nur auf die großen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein, sondern widmet sich auch den kleinen, alltäglichen Dingen, die das Leben der Menschen prägten. Es erzählt von den Freuden und Sorgen des Alltags, von der Kultur, den sozialen Normen und den individuellen Schicksalen.
Besonders interessant sind die Geschichten von Menschen, die durch das Fußballspiel und die politische Situation auf besondere Weise betroffen waren. So wird beispielsweise die Geschichte von Matthias Brandt, dem jüngsten Sohn von Willy Brandt, erzählt, der die politischen Spannungen und Veränderungen hautnah miterlebte. Auch die Geschichte einer Frau, die in Hamburg in der Lokalpolitik aktiv war und später eine erfolgreiche Schriftstellerin wurde, zeigt, wie das Leben in den 1970er Jahren von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt war.
Ronald Rengs Buch „1974“ ist eine eindrucksvolle Darstellung einer Zeit, die viele Menschen geprägt hat. Es ist ein Zeugnis für die tiefen Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West, und zeigt, wie Sport, Politik und Gesellschaft auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die deutsche Geschichte und ist eine wertvolle Quelle für alle, die sich für die 1970er Jahre und die Zeit der deutschen Teilung interessieren.
Rengs sorgfältige Recherche und die einfühlsame Darstellung der Lebensgeschichten machen „1974“ zu einem wichtigen Beitrag zur deutschen Geschichtsschreibung. Es erinnert uns daran, wie tief die Wunden der Teilung waren, aber auch, wie die Menschen in beiden Staaten trotz aller Unterschiede miteinander verbunden waren. Das Buch ist eine Erinnerung an eine Zeit, die viele als eine Zeit der Stagnation und der festgefahrenen Verhältnisse in Erinnerung haben, aber die auch eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung auf Veränderung war.
Insgesamt ist „1974 – Eine deutsche Begegnung“ ein faszinierendes und bewegendes Buch, das nicht nur Fußballfans, sondern allen, die sich für die deutsche Geschichte interessieren, viel zu bieten hat. Es ist eine Reise in eine vergangene Zeit, die uns viel über die Gegenwart und die Zukunft lehrt.
- Herausgeber : Piper; 4. Edition (14. März 2024)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 432 Seiten
- ISBN-10 : 3492072194
- ISBN-13 : 978-3492072199
- Abmessungen : 13.6 x 4.4 x 21.5 cm
- 543 Gramm
- 24 Euro