
„Wenn ich groß bin, bin ich erleuchtet: Oshos vergessene Kinder“ ist ein sehr persönliches und eindrucksvolles Buch von Leela Goldmund. In diesem Werk erzählt die Autorin von ihrer Kindheit, die sie in der Bhagwan-Sekte (heute Osho-Sekte) verbrachte, und das aus der Perspektive eines siebenjährigen Mädchens. Es ist eine Neuauflage des Erfolgstitels „Insektenglück“, und es geht um die Erfahrungen von Leela, die während ihrer Kindheit in einer geschlossenen Gemeinschaft aufwuchs, die von dem indischen „Sex-Guru“ Bhagwan Shree Rajneesh, später bekannt als Osho, geführt wurde.
Die Kindheit von Leela
Leela ist gerade mal sieben Jahre alt, als ihre Eltern Ende der 1970er Jahre der Bewegung von Bhagwan beitreten. Für sie bedeutet das eine große Veränderung, da sie sich plötzlich in einer völlig anderen Welt wiederfindet. Diese Gemeinschaft, die Bhagwan umgibt, verspricht den Weg zu „Erleuchtung“, einem Zustand des vollkommenen Erwachens und der Freiheit. Doch die Realität in dieser Sekte ist weit entfernt von den Versprechungen. Für das kleine Mädchen Leela beginnt eine wilde und schwierige Reise, die sie in zwei völlig unterschiedliche Welten führt: Zuerst lebt sie in Zürich, wo sie in einer Kommune der Bhagwan-Bewegung aufwächst, und später zieht ihre Familie nach Rajneeshpuram, der berühmten Sannyas-Stadt in der Wüste Oregons.
Leela wird von ihren Eltern in eine Welt geführt, in der keine Regeln so sind, wie sie sie kennt. In dieser Kommune gibt es keine klassischen Vorstellungen von Familie, Liebe und Geborgenheit. Alles dreht sich um die Suche nach Erleuchtung und das Streben nach einem „höheren“ Bewusstsein. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht nach einer interessanten und aufregenden Welt, aber die Realität ist komplizierter. Leela wächst in einer Umgebung auf, die sie von der Außenwelt abschottet, in einer Welt, in der ihre Bedürfnisse oft ignoriert werden, während die Erwachsenen sich mit ihren eigenen spirituellen und sexuellen Erweckungsprozessen beschäftigen.
Die Philosophie der Bhagwan-Bewegung
Die Bhagwan-Sekte ist ursprünglich für ihre liberale Haltung gegenüber Sexualität, Meditation und alternativen Lebensansätzen bekannt. Die Bewegung feiert die Idee des „New Man“, des vollkommen erwachten Menschen, der sich von gesellschaftlichen Normen befreit hat. Es gibt viel Raum für freie Liebe und bewusstseinserweiternde Praktiken. Doch bald zeigt sich, dass die hehren Ideale der Gemeinschaft eine dunklere Seite haben. Statt eines offenen, freien Lebens wandelt sich die Bewegung mehr und mehr zu einem autoritären System, das von Bhagwan und seinen engsten Anhängern kontrolliert wird. Die Vorstellung von Erleuchtung, die die Sekte predigt, wird immer mehr zu einem Dogma, und diejenigen, die sich nicht daran halten, geraten in Gefahr.
Leela erlebt als Kind, wie diese Ideale von der Gemeinschaft in die Realität umgesetzt werden. In einer Welt, in der Erleuchtung das wichtigste Ziel ist, ist es entscheidend, sich vollständig der Gemeinschaft zu unterwerfen und den Prinzipien der Sekte zu folgen. Für die kleine Leela bedeutet das: Sie darf ihre eigenen Gefühle nicht zeigen. Sie muss glauben, dass sie das Leben in der Kommune liebt, dass sie sich nach der Erleuchtung sehnt – und dass alles, was außerhalb dieser Welt passiert, schlecht und minderwertig ist. Ihre größte Angst ist es, zu zeigen, dass sie ihre frühere, einfache Welt mit ihren Eltern und dem Leben in einem „normalen“ Haus vermisst. Wenn jemand davon erfährt, könnte sie aus der Gruppe ausgeschlossen werden, und das wäre für Leela eine Katastrophe.
Das Leben der Kinder in der Kommune
Das Buch bietet auch einen Einblick in das Leben der Kinder in der Bhagwan-Sekte, die oft stark vernachlässigt wurden. Während die Erwachsenen ihren spirituellen und sexuellen Vorstellungen nachgingen, hatten die Kinder wenig Kontakt zu ihren Eltern und wurden häufig sich selbst überlassen. In dieser Gemeinschaft war es nicht ungewöhnlich, dass die Kinder in einem Paralleluniversum lebten, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt und ohne die Fürsorge, die sie in einer traditionellen Familie erfahren hätten. Sie wuchsen in einer Welt auf, in der es an grundlegender emotionaler Unterstützung und Sicherheit mangelte.
Leela beschreibt mit einer Mischung aus Kindlichkeit und Nachdenklichkeit, wie sie in dieser Welt versucht, zurechtzukommen. Sie fühlt sich von den Erwachsenen und ihrer Suche nach Erleuchtung entfremdet und versteht oft nicht, warum sie sich ständig nach Dingen sehnen muss, die sie nicht haben darf – wie die Nähe zu ihrer Mutter oder ein normales Leben. Und doch versucht sie, in dieser verrückten und verwirrenden Welt zu überleben und ihren Platz zu finden. Sie will eine echte Sannyasin werden, denn das bedeutet, zu den Auserwählten zu gehören, die das „höchste“ Ziel erreicht haben: die Erleuchtung.
Der Humor und die Tragik
Das Buch ist unterhaltsam und humorvoll geschrieben. Leela erzählt ihre Geschichte aus der Perspektive eines Kindes, was die Erlebnisse teils sehr unschuldig und fantasievoll erscheinen lässt. Doch hinter dem Humor steckt eine große Tragik. Die Kinder dieser Kommune leben in einer Umgebung, die ihre Bedürfnisse und Gefühle nicht berücksichtigt, und müssen sich mit der Verantwortung und den schwierigen Umständen eines Lebens ohne echte Geborgenheit auseinandersetzen. Diese Mischung aus Humor und Tragik macht das Buch zu einer eindrucksvollen und nachdenklich stimmenden Lektüre.
Späte Aufarbeitung und Reflexion
Das Buch ist nicht nur eine Kindheitsgeschichte, sondern auch eine späte Reflexion der Autorin über ihre Erlebnisse in der Bhagwan-Sekte. Leela Goldmund gelingt es, die Geschichte ihrer Kindheit auf authentische Weise zu erzählen, ohne dabei eine Generalabrechnung mit der Sekte zu führen. Sie schafft es, ein Bild dieser Gemeinschaft zu zeichnen, das sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig ist. Es ist eine Geschichte von Sehnsucht, Schmerz, Anpassung und dem Wunsch nach Anerkennung – und gleichzeitig eine spannende Reise in die Welt eines außergewöhnlichen, aber auch problematischen spirituellen Experiments.
Fazit
„Wenn ich groß bin, bin ich erleuchtet: Oshos vergessene Kinder“ ist ein Buch, das sowohl die faszinierende als auch die düstere Seite der Bhagwan-Bewegung beleuchtet. Es gibt einen einzigartigen Einblick in die Welt der Kinder, die in einer abgeschotteten Gemeinschaft aufwachsen, in der Erleuchtung das einzige Ziel ist. Die Autorin gelingt es, ihre Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die sowohl humorvoll als auch tiefgründig ist und den Leser dazu anregt, über die Konsequenzen von extremen spirituellen Bewegungen nachzudenken. Das Buch ist nicht nur für diejenigen interessant, die sich für Osho und seine Anhänger interessieren, sondern auch für alle, die sich mit den Themen Identität, Kindheit und den Auswirkungen von Ideologien auf das Leben der Menschen auseinandersetzen wollen.
- Herausgeber : Sparkys Edition Verlag Kommunikation Romer; Neuauflage des Werkes „Insektenglück“ (1. Mai 2024)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 300 Seiten
- ISBN-10 : 3949768238
- ISBN-13 : 978-3949768231
- Abmessungen : 13.3 x 2.3 x 21.1 cm
- 15,90 Euro