/ August 25, 2024/ Biografien

„Ich habe neun Leben gelebt: Eine jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert“ ist die Autobiografie von Joseph Melzer, einem Mann, dessen Leben von den dramatischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts geprägt war. Melzer, 1907 in Kuty, Galizien (heute Teil der Ukraine), geboren, wuchs in einer jüdischen Familie auf und erlebte bereits in jungen Jahren die Unbeständigkeit und Unsicherheit, die das Leben der Juden in Europa prägte.

Melzer war ein leidenschaftlicher Verleger und Buchhändler. In neun Kapiteln, die jeweils wichtige Abschnitte seines Lebens repräsentieren, erzählt er seine Geschichte, die von den historischen und politischen Entwicklungen des Jahrhunderts geprägt ist. Jedes Kapitel seines Lebens endet mit einem Bruch – einem Ortswechsel oder einer einschneidenden Veränderung – und dem eisernen Willen, wieder neu anzufangen.

In seiner Kindheit erlebte er den Zusammenbruch des Habsburgerreichs und die Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. 1918 zog er nach Berlin, wo er das turbulente politische Klima der Weimarer Republik erlebte. Die aufkommende Bedrohung durch den Nationalsozialismus zwang ihn 1933, vor den Nazis nach Palästina zu fliehen. Obwohl er dort sicher war, fühlte er sich nie wirklich heimisch. Die radikalen Ansichten der Zionisten, die sich für die Gründung eines jüdischen Staates einsetzten, stießen ihn ab. Für ihn war das Leben in Deutschland, trotz der zunehmenden antisemitischen Stimmung, weiterhin eine Option.

1936 kehrte Melzer nach Europa zurück und ließ sich zunächst in Paris nieder. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog er nach Warschau, wurde jedoch vom Krieg überrascht und musste erneut fliehen. Sein Weg führte ihn nach Russland, wo er als deutscher Spion verhaftet und für zehn Jahre in ein sibirisches Arbeitslager geschickt wurde. Diese Zeit überlebte er nur mit großem Durchhaltevermögen und einer tiefen inneren Stärke.

Nach seiner Freilassung 1948 wanderte Melzer mit seiner Familie erneut nach Israel aus, doch auch dort konnte er nicht lange bleiben. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück, das Land, das ihn einst vertrieben hatte. Trotz aller Widrigkeiten entschied er sich, in Köln einen Verlag zu gründen, der sich auf jüdische Literatur spezialisierte, insbesondere auf Werke von Autoren, deren Bücher von den Nazis verbrannt worden waren. Melzer wollte damit ein Zeichen setzen: Trotz der schrecklichen Vergangenheit konnte die jüdische Kultur in Deutschland wieder Fuß fassen.

Seine Rückkehr nach Deutschland war jedoch nicht nur beruflich motiviert. Obwohl seine Frau, deren gesamte Familie bis auf eine Schwester dem Holocaust zum Opfer gefallen war, große Vorbehalte hatte, war für Melzer die Rückkehr nach Deutschland eine Art Versöhnung mit seiner Vergangenheit. Er wollte das Land nicht denjenigen überlassen, die versucht hatten, ihn und sein Volk zu vernichten.

In seiner Biografie zeigt Melzer eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Reflexion und Selbstkritik. Er beschreibt offen seine ambivalente Haltung gegenüber den Zionisten, seine Faszination und gleichzeitige Abscheu vor den Juden, die sich dem deutschen Nationalismus verschrieben hatten, und seine eigene schwierige Beziehung zu Deutschland. Trotz all dieser Widersprüche blieb er seinem Ideal treu: der Liebe zu Büchern und der Überzeugung, dass Literatur eine Macht hat, die über politische und ideologische Grenzen hinausgeht.

Melzers Lebensgeschichte ist nicht nur die eines Einzelnen, sondern steht stellvertretend für das Schicksal vieler Juden im 20. Jahrhundert. Seine Erlebnisse sind geprägt von ständiger Flucht, Verlust und Neuanfang. Doch trotz aller Rückschläge bewahrte sich Melzer seine Leidenschaft für das gedruckte Wort und seine Überzeugung, dass Bücher eine Brücke zwischen den Menschen schlagen können, auch wenn die Welt um sie herum in Trümmern liegt.

Am Ende seines Lebens, kurz bevor er 1984 starb, schrieb Melzer seine Biografie nieder. Er wollte nicht nur sein eigenes Leben dokumentieren, sondern auch ein Zeugnis für kommende Generationen hinterlassen. In seinem Buch zieht er ein Resümee, das ebenso nüchtern wie tiefgründig ist: „Ich bin jetzt am Ende meines Lebens. Es war wie das Leben vieler anderer Juden meiner Generation. Ein gewöhnliches jüdisches Schicksal.“ Doch wie der Leser schnell erkennt, war Melzers Leben alles andere als gewöhnlich. Es war ein Leben, das geprägt war von einer außergewöhnlichen Resilienz, einer tiefen Liebe zur Kultur und einem unerschütterlichen Glauben an die Macht der Bücher.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Westend; 1. Edition (1. Februar 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 336 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864893062
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864893063
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.9 x 3.2 x 22.3 cm
  • 566 Gramm
  • 24 Euro

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