Es gibt viele Vorfälle und Skandale in Zusammenhang mit der Polizei, die bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl hervorrufen. Dies reicht von Chatgruppen mit rassistischen, homophoben oder frauenfeindlichen Inhalten bis hin zu Berichten über überzogene Gewalt und willkürliche Kontrollen, insbesondere bei Angehörigen von Minderheiten. Obwohl es oft als Einzelfälle abgetan wird, scheint es mittlerweile so viele solcher Vorfälle zu geben, dass die Frage aufkommt, ob die Polizei ein systematisches Problem hat. Man muss jedoch kein Woke-Aktivist sein, um diese Frage zu stellen.
In ihrem Buch „Die Polizei: Freunde, Helfer, Staatsgewalt“ haben Singelnstein und Derin die Polizei aus verschiedenen Perspektiven untersucht. Sie haben sich mit dem Selbstverständnis der Polizei und gesellschaftlichen Veränderungen auseinandergesetzt. Die Autoren stellen heraus, dass es keine einheitliche Polizei gibt und dass Polizisten individuelle Motive, Einstellungen und Mentalitäten haben. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen haben Polizisten jedoch das Recht, Gewalt anzuwenden und das Gewaltmonopol des Staates zu vertreten.
Das Buch behandelt auch die „Cop Culture“ und die „behördliche Polizeikultur“, die durch Erfahrungen mit Kriminalität und Brennpunktvierteln geprägt sein kann und zu einem verfestigten strukturellen Rassismus führen kann. Die Autoren sind der Ansicht, dass die Polizei nicht einfach ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Obwohl die Polizei in den letzten Jahren diverser geworden ist, sind die Autoren skeptisch, ob dies zu einer Veränderung der „Cop Culture“ führen wird.
Singelnstein und Derin zeigen die Auswüchse wie das Nordkreuz- oder Hannibal-Netzwerk mit Beteiligung rechtsextremistischer Polizisten ebenso auf wie die Frankfurter Polizeiskandale, die etwa im vergangenen Jahr zur Auflösung des dortigen SEK führten.
Das Buch beschreibt das Scheitern der Sicherheitsbehörden nach den NSU-Morden sowie die Anstrengungen, Ausbildung und Zugang zum Polizeidienst zu reformieren, um potenzielle Problemfälle frühzeitig zu erkennen und auszusortieren.
Die Polizei leidet unter Überalterung und einem Mangel an Nachwuchs, weshalb einige Anforderungen gesenkt werden könnten. Die Autoren schlagen vor, dass unabhängige Polizeibeauftragte außerhalb der Behördenhierarchie eingesetzt werden sollten, um Missstände frühzeitig zu erkennen und zu melden. Darüber hinaus wird die polizeiinterne Lobbyarbeit, die Rolle der Polizeigewerkschaften und der Umgang mit Fehlerkultur behandelt. Das Buch bezieht sich auf aktuelle Forschungsergebnisse und konzentriert sich nicht nur auf Rechtsextremismus-Probleme, sondern auf Strukturen und Besonderheiten der Polizei insgesamt. Es ist gut lesbar, trotz seiner wissenschaftlichen Sprache.
- Herausgeber : Econ; 1. Edition (10. März 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 448 Seiten
- ISBN-10 : 3430210593
- ISBN-13 : 978-3430210591
- Abmessungen : 13.8 x 4.4 x 22 cm