/ Mai 16, 2025/ Buch

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Was, wenn der eigene Großvater ein Mörder war? Kein gewöhnlicher Krimineller, sondern ein Mann, der Teil der SS war und beim Massenmord an Juden im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle spielte? Wie lebt man mit so einem Erbe? Und was macht das mit einer Familie – über Generationen hinweg?

Lorenz Hemicker, Journalist und Autor, stellt sich genau diesen Fragen. In seinem Buch „Mein Großvater, der Täter“ nimmt er die Leserinnen und Leser mit auf eine sehr persönliche, bewegende Reise. Es ist eine Spurensuche in der eigenen Familiengeschichte – mit erschreckenden und aufwühlenden Erkenntnissen.


Der Großvater: Täter im Holocaust

Im Jahr 1941 werden in einem Wald bei Riga, im heutigen Lettland, mehr als 27.000 Jüdinnen und Juden brutal ermordet. Der Ort heißt Rumbula, und das Massaker zählt zu den schlimmsten Verbrechen der NS-Zeit. Ernst Hemicker, der Großvater des Autors, war SS-Offizier und half dabei, die Gruben zu bauen, in die die Menschen nach ihrer Erschießung geworfen wurden. Für seine Beteiligung wurde er nie bestraft.

Diese Tatsachen erfährt der Autor nicht aus der Schule oder den Geschichtsbüchern, sondern Stück für Stück aus Sätzen, die sein Vater gelegentlich andeutete. Doch offen darüber gesprochen wurde nie.


Ein Todesfall wird zum Wendepunkt

Jahre später beschließen Lorenz Hemicker und sein Vater, gemeinsam nach Lettland zu reisen, um die Vergangenheit des Großvaters zu erkunden. Doch kurz bevor es dazu kommt, stirbt der Vater plötzlich. Für den Autor ist das der Auslöser, die Suche allein weiterzuführen. Es wird eine jahrelange Reise – nicht nur durch Archive, sondern auch zu Orten des Verbrechens und zu Menschen, die überlebt haben.

Er besucht die Gedenkstätte in Rumbula, trifft Überlebende des Holocaust und recherchiert tief in deutschen Akten und Dokumenten. Dabei entsteht ein Bild von einem Mann, der Teil einer grausamen Maschinerie war – aber nach dem Krieg wieder ein ganz normales Leben führte: als Vater, als Großvater, als scheinbar unauffälliger Bürger.


Wie wird ein Mensch zum Täter?

Das Buch versucht nicht nur zu verstehen, was Ernst Hemicker getan hat, sondern auch warum. Wie konnte jemand, der später liebevoll mit seinen Enkeln spielte, gleichzeitig ein Teil eines so unfassbaren Verbrechens gewesen sein? Welche Rolle spielten Überzeugung, Mitläufertum, Karrierestreben oder einfach Gleichgültigkeit?

Lorenz Hemicker schildert eindrücklich die innere Zerrissenheit, mit der er sich dieser Wahrheit stellt. Er beschreibt seine Zweifel, seine Wut, seine Fragen – und seine Versuche, die Vergangenheit zu begreifen, ohne sich ihr zu entziehen.


Das Schweigen in der Familie – und was es mit den Nachkommen macht

Ein zentrales Thema des Buches ist das Schweigen. Wie in vielen deutschen Familien wurde auch hier über die NS-Zeit kaum gesprochen. Täter wurden zu Schweigern, ihre Kinder zu Fragenden – und deren Kinder, wie der Autor selbst, suchen heute nach Antworten.

Das Buch zeigt, wie sehr die Verbrechen der Großeltern-Generation noch heute in den Familien nachwirken: als Schuldgefühl, als Scham, als Unwissen oder auch als Verdrängung. Doch es zeigt auch: Nur wer hinschaut, kann verstehen – und aufarbeiten.


Ein sachlicher und gleichzeitig sehr persönlicher Bericht

Lorenz Hemicker gelingt es, seine Rolle als Journalist mit seiner Rolle als Enkel zu verbinden. Sein Schreibstil ist klar, berührend und durchdacht. Er beschreibt die historischen Fakten ebenso wie seine eigenen Gedanken und Gefühle – mit großem Respekt vor den Opfern, aber auch vor der Wahrheitssuche.

Die Leserinnen und Leser werden nicht nur informiert, sondern auch tief berührt. Das Buch wirft Fragen auf, die viele von uns sich vielleicht noch nie gestellt haben:
Was weiß ich wirklich über meine Familie? Gibt es auch in meiner Geschichte dunkle Kapitel? Wie würde ich mit so einer Wahrheit umgehen?


Fazit: Ein wichtiges Buch über Schuld, Verantwortung und Erinnerung

„Mein Großvater, der Täter“ ist ein kluges, ehrliches und wichtiges Buch. Es geht nicht nur um ein einzelnes Verbrechen, sondern um das große Ganze: Um die deutsche Vergangenheit, um das Erinnern, und darum, wie wir heute damit umgehen.

Es ist ein Buch, das unter die Haut geht. Es macht betroffen, aber auch klüger. Es zeigt, dass Geschichte nicht nur etwas ist, das in Schulbüchern steht – sondern etwas, das in unseren eigenen Familien lebt.

Für alle, die sich mit deutscher Geschichte, Erinnerungskultur und persönlicher Verantwortung beschäftigen möchten, ist dieses Buch eine klare Empfehlung.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Berlin
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 15. April 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 256 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3737102171
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3737102179
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.2 x 2.33 x 21 cm

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