Ulrich Woelk
Aktualität und Spannung sind in diesem Buch kaum zu übertreffen: Während der Ukraine-Krieg andauert und die Corona-Krise allmählich abflaut, sorgen Klimaaktivisten während eines brütend heißen Sommers in Berlin für Verkehrschaos und hitzige Diskussionen. In „Mittsommertage“, dem neuesten Werk von Ulrich Woelk, wird nicht nur der Hitzesommer 2022 zum Schauplatz, sondern auch die aufgeheizte Stimmung jener Zeit.
In knapp 300 Seiten spricht das Buch eine Vielzahl von aktuellen Problemen an, die uns derzeit stark beschäftigen, insbesondere die Klimaproteste und die Frage, wie weit Protest und Aktivismus legitim sind. Trotz der elementaren Bedrohung der Klimakrise stellt sich die Frage, ob es Grenzen für Protest und Aktivismus gibt.
Dieses moralische Dilemma wird anhand der Hauptfigur, der Ethikprofessorin Ruth Lember, verdeutlicht. Ruth, eine Frau in ihren mittleren Fünfzigern mit einer erfolgreichen akademischen Karriere, wird gerade in den Deutschen Ethikrat berufen, während ihr Ehemann einen bedeutenden Architekturwettbewerb gewinnt. Ihr Leben könnte derzeit kaum besser laufen. Doch innerhalb nur einer Woche geschehen beunruhigende Ereignisse, die alles ins Wanken bringen. Sie wird von einem aggressiven Hund beim Joggen gebissen und gibt daraufhin ein unkonzentriertes Interview, das später für Ärger sorgt.
Eine bekannte Person aus der Vergangenheit bringt alte Geschichten wieder ans Licht.
Außerdem taucht ein alter Bekannter erneut auf. Ruth und Stav hatten vor langer Zeit einen ähnlichen Lebensstil und eine kritische Einstellung zum Kapitalismus. Als frühe Umweltaktivisten kämpften sie zusammen gegen die Atomkraft und schreckten auch vor radikaleren Maßnahmen nicht zurück. Nun offenbart Stav, dass er immer noch Dokumente aus dieser Zeit besitzt, die einen gemeinsamen Anschlag auf einen Strommast enthüllen, der damals für Aufsehen sorgte. Dieses Material ist äußerst brisant, da niemand über Ruths Vergangenheit als Umweltaktivistin und ihre Beteiligung an illegalen Aktionen Bescheid weiß – weder ihr Ehemann, noch ihre Ziehtochter oder die Universität. Was bezweckt Stav damit? Will er sie unter Druck setzen oder gar in den Ruin treiben? Ruth ist in Alarmbereitschaft.
In „Mittsommertage“ zieht Woelk eine klare Verbindung zwischen der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er Jahre und den heutigen Klimaaktivisten. Die Hauptfigur Ruth, die sich ethisch und moralisch sicher fühlt, gerät ins Wanken, als sie mit ihren eigenen vergangenen Aktionen konfrontiert wird. In der Vergangenheit überschritt sie ethische Grenzen, die sie heute vehement verteidigt. Der Roman kann als Generationenroman betrachtet werden, der den älteren Generationen den Spiegel vorhält und gleichzeitig den jüngeren Generationen zeigt, dass ihre rebellische Haltung nicht einzigartig ist, obwohl sie es vielleicht glauben.
Allerdings hat der Roman auch problematische Seiten, da er stellenweise genauso akademisch wirkt wie das Milieu, in dem er spielt. Andere Passagen haben eher einen dokumentarischen Charakter, wie die detaillierte Beschreibung der aktuellen Handhabung der Coronamaßnahmen. Obwohl Woelk als Sprachkünstler gilt und bereits bewiesen hat, dass er spannende Handlungsstränge gestalten kann, überzeugt dieser Roman leider nicht ganz, obwohl das Thema an sich interessant ist.
„Mittsommertage“ ist ein fesselnder Generationenroman, der gekonnt die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzeigt. Woelks Sprachkunst verleiht dem Thema Tiefe, während die vielschichtigen Charaktere das Lesevergnügen bereichern. Eine gelungene Auseinandersetzung mit moralischen Dilemmata und der Aktivismus-Grenze.
- Herausgeber : C.H.Beck; 1. Edition (13. Juli 2023)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 284 Seiten
- ISBN-10 : 340680652X
- ISBN-13 : 978-3406806520
- Abmessungen : 13.3 x 2.8 x 20.2 cm