Sein Name ist Donner – ein Titel wie ein Paukenschlag, ein Name wie ein Versprechen! Was Morgan Talty in seinem ersten Roman entfesselt, ist nicht weniger als ein literarisches Gewitter – elektrisierend, aufrüttelnd und zutiefst menschlich. Dieses Buch ist keine bloße Geschichte – es ist ein Herzschlag, der aus dem Boden des Penobscot-Reservats in Maine zu uns heraufdröhnt, der sich durch unsere Nervenbahnen windet und uns auf unvergleichliche Weise mit einer Welt verbindet, die gleichzeitig weit entfernt scheint – und doch so nah an den Urfragen unseres Daseins liegt.
„Sein Name ist Donner“ ist das unvergessliche Porträt einer indigenen Gemeinschaft – eine Welt aus Mythen und Moderne, aus zerbrechlicher Hoffnung und zäher Resignation, aus Geistern und Glaube, aus tiefer Trauer und trotziger Liebe. Talty, selbst Mitglied der Penobscot Indian Nation, schreibt nicht über das Reservat – er schreibt aus ihm heraus. Und er tut das mit einer Stimme, die kraftvoll und zärtlich zugleich ist, bitter und doch voller Humor, lakonisch und doch poetisch – ein Erzähler, der das Unsichtbare sichtbar macht, das Unaussprechliche fühlbar.
Im Zentrum steht ein namenloser Junge – vielleicht David, vielleicht jeder von uns. Ein Kind des Reservats, ein Sohn einer zerrissenen Familie, ein Enkel einer dementen Großmutter, die in ihm einen verlorenen Bruder zu erkennen glaubt. Der Junge wächst auf zwischen Mangel und Magie. Seine Kindheit ist geprägt von der Allgegenwart des Verfalls – ökonomisch, sozial, seelisch – und doch ist da auch immer wieder dieses Aufblitzen von Würde, von Liebe, von Überleben. Talty zeigt mit fast schon schockierender Klarheit, wie koloniale Gewalt sich durch die Generationen frisst, wie Traumata vererbt, wie Träume begraben werden – und wie trotz allem immer wieder zarte Keime sprießen.
Mit der zufälligen Entdeckung eines alten Gefäßes, auf dem ein Fluch lastet, gerät das fragile Gleichgewicht aus der Bahn. Der Junge – naiv, verzweifelt, getrieben von Armut und Sehnsucht – entfesselt eine Kette von Ereignissen, die seine Familie zu zerreißen droht. Seine Versuche, die Geldnot zu lindern – sei es durch illegale Stachelschweinjagd oder den geplanten Diebstahl aus dem Stammesmuseum – sind keine Verbrechen im klassischen Sinne, sondern stille Schreie nach Autonomie, nach Selbstbehauptung, nach Würde.
Doch dieses Buch ist kein moralisches Traktat. Es lebt! Es atmet, lacht, weint. Der Humor – trocken wie Pinienharz, warm wie ein Feuer im Winter – durchzieht die Geschichte wie ein roter Faden. Talty versteht es meisterhaft, das Tragische mit dem Komischen zu verweben. Wenn Geister an den Wasserrohren klopfen, wenn Kinderflüche durch die Häuser geistern, wenn die Großmutter das Geschirr zudeckt, um die Ahnen fernzuhalten – dann fühlt man sich nicht als Beobachter, sondern als Teil dieser Welt. Der Leser sitzt mit am Küchentisch, schmeckt die Maisküchlein, riecht den Schweinebauch mit Farnkrautspitzen, spürt die Enge des Wohnzimmers, hört das Knacken der Dielen und das Schweigen der Erwachsenen.
Was dieses Buch so tief berührend macht, ist Taltys unerschütterliche Menschenkenntnis. Seine Figuren sind niemals bloß Opfer, niemals Karikaturen. Sie sind stolz, widersprüchlich, lebendig. Sie tragen die Last ihrer Geschichte, aber auch ihre Hoffnung. Besonders bewegend ist die Beziehung zwischen dem Jungen und seiner Großmutter – ein Band, das über Zeit und Raum hinausreicht, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart oszilliert, zwischen Erinnerung und Wahn. Hier gelingt Talty ein kleines Wunder: die heilende Kraft der Sprache, der Erzählung, des Zuhörens.
Thomas Überhoff gelingt es mit großer Sensibilität, Taltys besondere Sprache ins Deutsche zu übertragen. Die Übersetzung ist ein Kunstwerk für sich: Sie bewahrt den Rhythmus, den Witz, die Zärtlichkeit und die Schärfe des Originals. Der Ton ist klar, manchmal rau, oft zärtlich, stets präzise – nie kitschig, nie überhöht.
„Sein Name ist Donner“ ist ein Buch, das bleibt. Es bleibt im Gedächtnis, im Herzen, in der Seele. Es ist ein Spiegel und ein Fenster: ein Spiegel für unsere eigenen Fragen nach Herkunft, Identität, Verlust und Hoffnung – und ein Fenster in eine Welt, die viel zu lange übersehen wurde. Dieses Buch ist ein Geschenk – ein Flüstern aus der Tiefe der Geschichte, ein Donnerhall in der Gegenwart, ein Aufbruch in eine neue literarische Zukunft.
Wer Talty liest, wird nicht unverändert bleiben. Dieses Buch wird dich lachen lassen, es wird dich wütend machen, es wird dich zum Weinen bringen – aber vor allem wird es dich daran erinnern, was es heißt, Mensch zu sein. Ein Ereignis. Ein Meisterwerk. Ein Donnerschlag von einem Roman.
- Herausgeber : Rowohlt Buchverlag
- Erscheinungstermin : 17. Juni 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 320 Seiten
- ISBN-10 : 3498007033
- ISBN-13 : 978-3498007034
- Originaltitel : The Night of the Living Rez
- Abmessungen : 13.2 x 2.8 x 21 cm
- 25 Euro