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Also Leute, wer gedacht hat, Wonder Woman würde sich nach dem ersten Band ein bisschen zurücklehnen, hat sich gewaltig geschnitten. In „Das Lasso der Lügen“, dem zweiten Band der aktuellen Serie, geht’s nicht nur um Kämpfe, coole Posen und intergalaktische Geschenke für Batman (kein Scherz – dazu gleich mehr), sondern auch um richtig düstere Psychospielchen, fiese Manipulation und einen Superschurken, der mit seiner ganz eigenen Version der Wahrheit ankommt. Und zwar in Form eines Lasos, das genau das Gegenteil von Dianas legendärem Wahrheitslasso macht: Es lügt, bis die Synapsen qualmen.
Klingt abgefahren? Ist es auch.
Ein König der Lügen und eine Heldin am Limit
Der zentrale Gegenspieler hier ist der sogenannte Souverän – ein alter, skrupelloser Machtmensch mit viel Geld, Einfluss und einer Schattenregierung im Rücken, die sich so ziemlich alles erlauben kann. Also, quasi die Inkarnation der dunklen Seite des American Dream. Und dieser selbsternannte Schattenkönig hat es sich zum Ziel gesetzt, Wonder Woman zu brechen. Nicht mit Muskeln – das wäre bei ihr eh Quatsch – sondern mit etwas viel Heimtückischerem: Lügen.
Mit seinem Lasso der Lügen hält er Diana in einer Art Scheinwelt gefangen – eine Mischung aus manipulierten Erinnerungen, falschen Hoffnungen und geschickt platzierten Halluzinationen. Man könnte sagen: eine Art Albtraum-Netflix, bei dem sie die Hauptrolle spielt und gleichzeitig nicht mehr weiß, was real ist und was nicht. Und das alles mit dem Ziel, sie innerlich so fertigzumachen, dass sie sich selbst aufgibt. Richtig harter Tobak.
Drei Hefte, viel Wirkung
Dieser sogenannte „Opfer“-Handlungsbogen, den Tom King auf nur drei Ausgaben aufzieht, ist dicht, psychologisch und clever erzählt. Wer King kennt – zum Beispiel von seinem genialen „Mister Miracle“ oder der melancholischen „Supergirl: Woman of Tomorrow“ – weiß: Der Mann kann Charaktere kaputtmachen, ohne dass sie dabei an Größe verlieren. Auch hier geht er voll auf Risiko – und es lohnt sich. Denn was man bekommt, ist keine gewöhnliche Superheldenklopperei, sondern ein intensiver Blick in den Kopf einer Ikone, die eigentlich unerschütterlich wirkt – und gerade deswegen umso menschlicher rüberkommt, wenn sie mal wankt.
Bonus-Story: Galaktisches Shopping mit Superman
Bevor’s richtig düster wird, gibt’s in Heft 7 erstmal eine locker-leichte Episode: Diana und Clark (also Superman) gehen auf Geschenkejagd. Und zwar für Batman. Ja, ernsthaft. Sie düsen durch die Galaxis, hängen in einer interstellaren Mall ab und überlegen, was man dem finster dreinblickenden Detektiv aus Gotham wohl schenken kann, das ihm nicht die Laune noch mehr verdirbt. Charmant, witzig, ein bisschen absurd – aber genau das Richtige, um mal durchzuatmen, bevor’s in den Abgrund geht. Und ganz ehrlich: Wenn du Diana und Clark zusammen in einer Sci-Fi-Mall rumalbern siehst, ist das einfach pures Fan-Gold.
Die Zeichnungen? Richtig schick!
Guillem March liefert in der siebten Ausgabe feinsten Comic-Stoff ab – seine Figuren sind dynamisch, die Mimik sitzt, und der Humor kommt auch visuell richtig gut rüber. Wenn dann Daniel Sampere übernimmt (den kennt man von „Dark Crisis“), wird’s nochmal ernster, detailreicher und atmosphärischer. Man merkt: Hier arbeitet jemand, der sich Zeit nimmt. Kein Wunder also, dass King zwischendurch andere Hefte reinschieben musste, weil Sampere vermutlich mit Feinschliff beschäftigt war.
Auch Amanda Conner und Jimmy Palmiotti (Harley-Quinn-Dreamteam) sind am Start, allerdings in den „Füller“-Heften aus „Wonder Woman: Agent of Peace“. Die sind okay, bieten ein bisschen Action, ein paar Cameos und nette Panels – aber im Vergleich zur Hauptstory eben eher Popcorn-Kino. Nicht schlecht, aber auch nichts, worüber man morgen noch nachdenkt. Trotzdem: als Bonusmaterial voll in Ordnung.
Zwischen Kulturkampf und Kommentar
Und ja – dieser Comic ist auch politisch. Aber nicht mit dem Holzhammer, sondern mit Haltung. Der „Souverän“ steht als Symbol für das, was falsch läuft in einem Land, das sich gerne als frei und gerecht bezeichnet – aber hinter verschlossenen Türen doch eher von alten Männern regiert wird, die ihre eigene Wahrheit schreiben. Klar, das ist unbequem. Und wer bei dem Begriff „Patriarchat“ gleich Schnappatmung bekommt, der wird sich hier vielleicht provoziert fühlen. Aber Tom King macht das nicht, um mit dem Zeigefinger zu wedeln. Im Gegenteil: Er traut seinen Leser*innen zu, sich selbst ein Bild zu machen.
Es geht nicht darum, alle Männer böse und alle Frauen stark darzustellen – sondern darum, wie Machtmissbrauch funktioniert, und wie schwer es ist, dagegen anzukämpfen, wenn die Realität ständig verdreht wird. In Zeiten von Fake News, Verschwörungs-Blabla und rückwärtsgewandtem Politikgeplapper wirkt das fast schon prophetisch. King trifft einen Nerv – aber subtil und intelligent.
Fazit: Stark, düster, relevant – aber nicht ohne Humor
„Das Lasso der Lügen“ ist kein einfacher Comic. Es ist auch kein bloßer Superhelden-Blockbuster. Es ist ein intensiver, teils verstörender, aber auch mutiger Blick auf das, was Held*innentum im 21. Jahrhundert bedeuten kann. Wonder Woman wird hier nicht gefeiert, sondern geprüft – bis an die Grenzen dessen, was sie selbst noch als „sie selbst“ erkennt.
Und trotzdem bleibt Platz für Spaß – die Shopping-Story mit Superman ist herrlich, der Stil ist durchweg hochwertig, und das ganze Werk wirkt wie aus einem Guss, auch wenn verschiedene Kreativteams mitgemacht haben. Wer also auf anspruchsvolle Comics mit Herz, Haltung und einer Prise Wahnsinn steht – zuschlagen!
- Herausgeber : Panini Verlags GmbH; 1. Edition (11. Februar 2025)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 188 Seiten
- ISBN-10 : 3741639982
- ISBN-13 : 978-3741639982
- Lesealter : Ab 14 Jahren
- Originaltitel : Wonder Woman #7-#10; Wonder Woman: Agent of Peace #2-#4, #11
- Abmessungen : 16.8 x 1.4 x 25.9 cm
- 25 Euro