
„Zwei Staatsanwälte“ ist keine gewöhnliche Lektüre. Es ist ein Sog. Ein Riss in der Zeit, der uns mit erbarmungsloser Klarheit in das Jahr 1937 hineinzieht – mitten in die Zentrale des Grauens: die unheimliche, alles verschlingende Maschinerie des sowjetischen Terrors. Und doch ist dieses Buch so viel mehr als ein historisches Dokument.
Es ist ein Meisterwerk darüber, wie ein einzelner Mensch – verletzlich, zweifelnd, doch letztlich mutig – gegen eine unbarmherzige Staatsmacht aufbegehrt.
Was Georgi Demidow hier schafft, ist atemberaubend.
Mit messerscharfer Beobachtung beschreibt er das erstickende Klima des Misstrauens, der Angst, des Zynismus. Jede Szene ist so detailgenau, so wahrhaftig, dass man beim Lesen den kalten Schweiß auf der Stirn spürt. Die muffige Gefängnisluft scheint einem entgegenschlagen. Man hört die metallischen Schritte in den Gängen. Man spürt die Beklemmung in jeder Zelle.
Und doch ist es keine hoffnungslose Dystopie – sondern eine zutiefst menschliche Geschichte.
Im Mittelpunkt steht der junge Staatsanwalt Kornew, ein Mann, der selbst Teil des Systems ist – eigentlich angepasst, dienstbeflissen, kein Held. Aber als ihm dieser unheimliche, mit Blut geschriebene Hilferuf in die Hände fällt, wird er aus seiner Bahn geworfen.
Was für ein Bild: Ein blutbeschmiertes Stück Pappe als stumme Anklage. Ein Dokument verzweifelter Menschlichkeit, das durch die grauen Korridore der sowjetischen Justiz schwebt und plötzlich eine Frage stellt, die nicht mehr zum Schweigen gebracht werden kann: Was, wenn wir die Falschen bestrafen?
Kornew kann nicht mehr wegsehen.
Und hier beginnt die große Kraft dieses Romans.
Demidow zeichnet keinen strahlenden Retter, sondern einen Mann, der mit sich ringt. Der auf Widerstände stößt, bedroht wird, zerrissen ist zwischen Pflichtgefühl und Gewissen. Und doch wagt er es, in das Gefängnis zu gehen. Wagt es, den Häftling zu sehen. Wagt es, Fragen zu stellen, die niemand hören will.
Die Begegnung mit dem Gefangenen ist eine Sternstunde der Literatur.
Demidow bringt hier eine existenzielle Tiefe aufs Papier, wie man sie selten findet. Zwei Menschen, getrennt durch Gitter, aber verbunden in einem kurzen Moment echter Verständigung. Der eine ausgeliefert, gefoltert, verzweifelt – der andere plötzlich gezwungen, seine ganze Weltsicht zu hinterfragen.
Und während Kornew erkennt, was dieses System wirklich ist – dass es nicht nur „Staatsfeinde“ vernichtet, sondern sich selbst frisst, auch die Gläubigsten und Treuesten – wird auch der Leser gezwungen, sich zu fragen: Was würde ich tun?
Das ist keine historische Folklore – das ist brennend aktuell.
Demidows Roman leuchtet mit gnadenloser Klarheit in jede Bürokratie, die Menschen zu Aktennummern macht. In jedes System, das sich selbst wichtiger nimmt als die Wahrheit. In jede Ideologie, die aus Angst und Hass geboren wird.
Und das alles in einer Sprache, die elektrisiert.
Demidow schreibt nicht schwülstig, sondern klar, knapp, aber unglaublich präzise. Jeder Satz sitzt. Jede Beschreibung zieht dich tiefer hinein. Du willst atmen – und kannst nicht.
Aber er gibt dir auch Menschlichkeit.
Das ist das vielleicht Bewegendste an diesem Roman: Wie nahbar die Figuren sind. Wie verletzlich. Wie echt. Du vergisst sie nicht mehr. Kornew wird zu einem Spiegel. Du willst ihn schütteln, anschreien, ihm Mut zusprechen. Du fieberst mit ihm, hoffst, bangst.
Und das macht „Zwei Staatsanwälte“ so groß:
Es ist ein Roman über Angst – aber auch über Mut. Über Ohnmacht – aber auch über Verantwortung. Über Verrat – aber auch über Solidarität.
In einer Zeit, in der wir wieder erleben, wie Angst Gesellschaften spaltet, wie autoritäres Denken grassiert, wie Wahrheit zur Verhandlungsmasse wird – ist dieses Buch ein Weckruf.
Es sagt uns:
- Schau hin.
- Frag nach.
- Lass dich nicht abspeisen.
- Bleib menschlich.
Thomas Martins Übersetzung fängt diesen Ton meisterhaft ein.
Nüchtern und präzise, aber immer mit Respekt für die Figuren. Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig. So muss Literatur sein, die wehtut – und heilt.
Fazit?
„Zwei Staatsanwälte“ ist ein Roman, den man nicht einfach liest, sondern erlebt. Ein Buch, das einem bleibt wie ein Stein im Schuh, der einen mahnt, nicht wegzuschauen. Ein Meisterwerk der russischen Literatur – und ein Geschenk für alle, die an die Kraft des Erzählens glauben.
Unbedingt lesen. Unbedingt weitergeben. Unbedingt darüber sprechen.
Denn Bücher wie dieses können die Welt verändern – wenn wir sie lassen.
- Herausgeber : Galiani-Berlin
- Erscheinungstermin : 13. März 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 240 Seiten
- ISBN-10 : 3869713062
- ISBN-13 : 978-3869713069
- Originaltitel : Два прокура
- Abmessungen : 13.3 x 2.48 x 21 cm
- 23 Euro