von Quentin Tarantino (Autor), Stephan Kleiner (Übersetzer)
Trantino ist einer meiner Lieblinge, daher musste ich natürlich das Buch lesen, nun liegt es vor mir, dicker als erwartet und liefert mit „Der kleine Q guckt die großen Filme“ direkt eine persönlich geschriebene Einleitung des Autors. Er schildert dort von seinem ersten Kino Besuch, der aus einer Doppelvorstellung von John Alvidsons „Joe – Rache für Amerika“ und Carl Reiners „Wo is’ Papa?“ bestand. Damals war er erst sieben Jahre alt. Er sah es in dem berühmten Kino Tiffany. Das war bekannt dafür das in Mitternachtsvorstellungen kostümierten Besuchern und Themenabenden das Rocky-Horror-Phänomen lebendig werden ließ.
Tarantino hat das Ende von „Joe – Rache für Amerika“ zwar als Kind verschlafen – trotzdem behielt er die derbe, brutale und rabenschwarze Komödie über das amerikanische Klassensystem in Erinnerung. Und für „Wo is’ Papa?“ konnte er sich in jungen Jahren allein schon wegen des als Gorilla kostümierten George Segal begeistern. Mit diesen Erzählungen gelingt Tarantino eine originelle Einleitung für sein so persönlich geratenes Buch. In dem Werk wird sich damit auseinandergesetzt, wie ein Kind, das an der Seite seiner Eltern Erwachsenenfilme im Kino der 70er Jahre schauen durfte, diese in der ihm eigenen Perspektive wahrgenommen hat und wie dabei seine Leidenschaft für Filme geweckt wurde. Ich muss sagen das es in den 70er Jahren ganz normal war, das Kinder in Begleitung ihrer Eltern solche Filme schauten – daher ist es für mich nichts ungewöhnliches.
Beim Mittelteil vom Werk widmet sich Tarantino detailverliebt den einzelnen Kapiteln einzelner Filmen von den späten 60ern bis in die frühen 80er Jahre. Zunächst startet er mit seiner Schilderung mit dem legendären Bullitt (1968) mit Steve McQueen, um dann mit dem ebenso ikonischen „Dirty Harry“ mit Clint Eastwood fortzufahren. Er erzählt das er „Taxi Driver“ – der einer meiner Lieblingsfilme ist – und den Tarantino im Titel gebenden „Cinema Speculation“ zum Anlass nimmt, der Frage „Was wäre, wenn Brian De Palma statt Martin Scorsese Taxi Driver gedreht hätte?“ nachzugehen, bis hin zum „Kabinett des Schreckens“ (1981).
Es werden aber auch Abenteuerfilme wie „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972), den Tarantino gemeinsam mit seiner Mutter in einer kontroversen Doppelvorstellung mit „The Wild Bunch“ gesehen hat, und Thriller wie John Flynns „Mann mit der Stahlkralle“ (1977), von dem Tarantino am Premierenabend in Los Angeles umgehauen wurde, und Don Siegels „Flucht von Alcatraz“ (1979), den Tarantino erst sehr spät als Siegels ausdrucksstärksten Film für sich entdeckt hat erwähnt.
Es sprach mich an, das der Autor im weiteren Verlauf dieses Buchs seine spezifischen Film-Analysen mit seinen persönlichen Erfahrungen kombinierte. Genauso hat mich die große Bandbreite der abgedeckten Filme angesprochen. Ausser den Abenteuer- und Gangsterfilmen behandelt Tarantino nämlich auch Literarturverfilmungen wie Peter Bogdanovichs „Daisy Miller“ (1974) nach der gleichnamigen, klassischen Novelle aus dem Jahr 1878 von Henry James und John Flynns „Revolte in der Unterwelt“ (1973), die für Tarantino die beste Verfilmung eines Richard-Stark-Romans ist. Aber auch Horrorfilme wie Brian De Palmas „Die Schwestern des Bösen“ (1972)“ als Psycho-Remake auf Metaebene und Filme mit Anleihen beim Sensationskino wie Schraders „Hardcore – Ein Vater sieht rot“ (1979) lässt er nicht aus.
Mich erstaunt das Tarantino ein nahezu unerschöpfliches Wissen zu Filmen der 70er Jahre besitzt. Er lässt Hintergrundinformationen zur entscheidenden Rolle von Neile Adams, der Frau von Steve McQueen, bei seiner Karriere mit einfließen. Erstaunt bin ich das Neile diejenige war, die die Drehbücher für ihren Mann gelesen hat.
Ihr ist es zu verdanken, das ihr Mann als Schauspieler in den besten Filmen beteiligt gewesen ist. Erwähnenswert ist auch das Tarantino den jeweiligen Film in seinen Kontext zur Filmgeschichte eingeordnet hat. Bullitt hat das Genre des Polizeifilms revolutioniert, indem Steve McQueen diesen gut gekleideten, unglaublich coolen Cop gespielt hat. Tarantino zieht Vergleiche zu anderen Filmen, indem er etwa die Bedeutung des Films Bullitt für Steve McQueen mit der von „Dirty Harry“ für Clint Eastwood gleich setzt.
Um den wesentlichen Punkten folgen zu künnen muss man die von Tarantino besprochenen Filme nicht unbedingt gesehen haben. Interessanterweise liefert der Autor nebenher stets eine kurze Zusammenfassung des im Kapitel besprochenen Films.
Mir gefielen die Texte an dem Werk um so mehr, desto besser ich mich an den jeweiligen Film erinnern konnte. Daher konnte ich Tarantinos zahlreiche Andeutungen und Kommentare in Klammern einfach besser verstehen.
Ich habe den unnachahmlichen Stil von Tarantino, den ich an seinen Filmen schätze, wenn er sich durch das Kino der 70er Jahre zitiert, auch in diesem Buch wiedergefunden.
Im Werk fokussiert sich Tarantino selten auf einen einzigen Film. Er schweift bei seiner Auseinandersetzung mit dem einen Film ab, indem er von diesem zum nächsten springt. Dort, wo mir zu viele Schauspieler, Regisseure oder Filme nicht bekannt gewesen sind, hat der Autor mich leider häufiger kurzzeitig abgehängt.
Mir haben umfangreichere Anhänge gefehlt, die in diesem Buch nur aus Fußnoten bestehen. Vermisst habe ich auch ein Personenverzeichnis, das die in diesem Buch erwähnten Regisseure und Schauspieler (u.a. George Segal, George Maharis, Bobby Darin) auflistet oder ein Verzeichnis der auch nur am Rande erwähnten Filme (z.B. „The Wild Bunch“, „Joe – Rache für Amerika“, „Wo is’ Papa?“).
Ich kann „Cinema Speculation“ als eine umfassende Hommage an das Kino der 70er Jahre empfehlen.
Für Tarantino-Fans wäre ein abschließendes Kapitel schön gewesen, das den Bezug der in diesem Buch besprochenen Filme zu seinem eigenem Werk herstellt. So sind Tarantinos Jackie Brown und Death Proof beispielsweise von Exploitation bzw. Blaxploitation-Filmen der 70er Jahre geprägt. Auch zitiert Tarantino sich in seinen Filmen so gekonnt durch das Kino der späten 60er bis frühen 80er Jahre, das er oft lange Listen an zuvor zu sehenden Filmen herausgibt, damit man dem als Zuschauer folgen kann. Bei Tarantinos Western „The Hateful Eight“ besteht diese Liste etwa aus den fünf Filmen „Das Ding aus einer anderen Welt“, „Khartoum – Der Aufstand am Nil“, „Man nannte ihn Hombre“, „Mord im Orient Express“ sowie „The Wild Bunch“ und ist damit vergleichsweise kurz ausgefallen.
- Herausgeber : Kiepenheuer&Witsch; 1. Edition (3. November 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 400 Seiten
- ISBN-10 : 3462004298
- ISBN-13 : 978-3462004298
- Originaltitel : Cinema Speculation
- Abmessungen : 14.8 x 3.7 x 21.7 cm