/ Januar 4, 2024/ Romane

Yavuz Ekinci, Gerhard Meier

Das Buch von Yavuz Ekinci entführt die Leser in das Leben von Rüstem, der in einem abgelegenen Bergdorf aufwächst. Geprägt von Verlust, Vertreibung und der komplexen Geschichte seiner Familie, entfaltet sich eine bewegende Erzählung über das Aufwachsen unter schwierigen politischen Bedingungen. Der Roman ist in drei Abschnitte unterteilt: Der erste schildert Rüstems Kindheit, der zweite präsentiert die Ich-Perspektive seiner Großmutter, die die Schrecken der Vertreibung erlebt hat, und der dritte Abschnitt begleitet Rüstem, der den letzten Wunsch seiner Großmutter erfüllen möchte.

Ekinci nutzt geschickt verschiedene Erzählperspektiven, um die Grausamkeiten der Geschichte ausgewogen darzustellen, ohne zu verurteilen. Die poetische Sprache verleiht dem erschütternden Inhalt eine gewisse Schönheit. Der Roman wirft ein intensives Licht auf die Vertreibung zweier alter Kulturen in der Türkei, insbesondere der Kurden und Armenier, und bietet ein bedeutendes Stück Zeitgeschichte, das den Leser nachhaltig bewegt.

Die Handlung offenbart sich in einer scheinbar harmlosen Kindheit, die jedoch von politischen Unruhen und Schicksalsschlägen durchzogen ist. Ekinci erzählt die Geschichte mit einer nüchternen Distanz, die dennoch tief in die Emotionen der Figuren eindringt. Die verschiedenen Perspektiven schaffen eine facettenreiche Erzählweise und ermöglichen einen differenzierten Blick auf die komplexe Historie.

Der erste Abschnitt fokussiert auf Rüstems Kindheit, geprägt von der Abwesenheit der Mutter, dem Fortgang des Bruders in den Bergen und der distanzierten Präsenz des Vaters. Rüstem wird von seiner Großmutter und seinem Großvater aufgezogen, deren enge Beziehung zu ihm im Zentrum steht. Der Großvater erzählt Geschichten aus der Vergangenheit, durchzogen von religiösen Riten und Aberglauben. In dieser scheinbaren Idylle durchsuchen Soldaten regelmäßig das Haus, und erst im Laufe der Zeit begreift Rüstem den Grund dafür.

Der zweite Abschnitt präsentiert die Ich-Perspektive der Großmutter, die im Sterben liegt und sich an die Qualen der Vertreibung aus ihrem armenischen Heimatdorf erinnert. Ekinci zeichnet ein eindringliches Bild von den Gräueltaten, denen die Armenier und andere ethnische Gruppen in der Region ausgesetzt waren. Gewalttaten und Leichen säumen die Pfade ihrer Geschichte, und obwohl die Darstellung explizit ist, verurteilt der Autor nicht. Die Erzählung wirkt vielmehr wie eine nüchterne Beschreibung wahrer Ereignisse.

Der dritte Abschnitt begleitet Rüstem und seinen Vater auf ihrer Reise, um den Sarg der Großmutter in das militärisch abgesperrte Gebiet seiner Kindheit zu bringen. Hier greift der Autor auf die dritte Erzählperspektive zurück und erhöht den Abstand zum Geschehen. Durch die Ich-Perspektive der Großmutter wird das Erlebte wieder näher und unmittelbarer.

Die Verknüpfung des Genozids an den Armeniern und der Vertreibung der Kurden wird geschickt hergestellt, und die Darstellung der Geschehnisse lässt den Leser nicht unberührt. Trotz der scheinbaren Härte der Erzählung gelingt es Ekinci, dies ohne Wertung zu präsentieren. Der Roman wird zu einem Stück Zeitgeschichte über die Vertreibung zweier alter Kulturen, die über Jahrhunderte auf dem Gebiet der heutigen Türkei lebten und politischen Veränderungen zum Opfer fielen.

Die letzten zwei Abschnitte des Romans haben eine besonders bewegende Wirkung, da hier das Ausmaß des Grauens sichtbarer wird. Die Verbindung von Rüstems kindlicher Perspektive und der detaillierten Schilderung historischer Ereignisse fasziniert. Der Roman, der zunächst durch die naive Sichtweise Rüstems fast harmlos wirkt, entfaltet eine tiefgehende Geschichte über Flucht, Vertreibung, Krieg und Leid. Trotz der Ernsthaftigkeit der Thematik bleibt die Erzählung wunderschön, fast poetisch.

Abschließend lässt sich sagen, dass dieses Buch nicht nur ein fesselndes Stück Literatur ist, sondern auch eine Lehrstunde über die Geschichte der Kurden und Armenier in der Türkei. Der Roman hilft, Leerstellen im Wissen zu füllen und liefert einen unverblümten Blick auf vergangene Ereignisse.

Die Erzählung von Rüstem, geprägt von Verlust und Vertreibung, wird meisterhaft durch verschiedene Perspektiven dargestellt. Ekinci präsentiert die Geschichte mit poetischer Sprache und einer ausgewogenen Sicht auf die Grausamkeiten der Vergangenheit. Die Verknüpfung von Armenier-Genozid und Kurdenvertreibung gibt Einblick in die komplexe Historie der Region. Der Roman ist nicht nur lehrreich, sondern auch künstlerisch anspruchsvoll und berührend. Das Buch ist eine literarische Perle, die nachdenklich stimmt und zugleich fasziniert.


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  • Herausgeber ‏ : ‎ Kunstmann, A; 1. Edition (12. Oktober 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 325 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3956145593
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3956145599
  • Originaltitel ‏ : ‎ Cennetin Kay¿p Topraklar¿
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.7 x 3.3 x 21.1 cm
  • 26 Euro

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