/ Mai 30, 2024/ Ratgeber, Rehabilitation

Sieglind Luise Ellger-Rüttgardt

Das Buch „Einführung in die Geschichte der Sonderpädagogik“ bietet einen umfassenden Überblick über die Entwicklung dieses Fachbereichs. Die Autorin verfolgt dabei einen neuen Ansatz im Vergleich zu bisherigen Werken, die sich oft auf die Geschichte einzelner sonderpädagogischer Disziplinen und deren Einbettung in behindertenpädagogische Systeme konzentrierten. Stattdessen betont sie den Anspruch auf eine allgemeine Bildung für alle Kinder und Jugendlichen, einschließlich jener mit Lebens- und Lernschwierigkeiten.

Zentrale Themen des Buches

Bildsamkeit und universelle Bildung: Die Autorin betont den Begriff der Bildsamkeit, der in der Pädagogik bedeutet, dass alle Kinder die Fähigkeit zum Lernen haben. Die praktische Umsetzung dieses Prinzips ist jedoch seit dem 18. Jahrhundert ambivalent, da Partikularität, Differenz und Differenzierungsprozesse eine bedeutende Rolle spielen.

Integration in das Bildungssystem: Mit der Zeit wurden immer mehr Kinder mit besonderen Bedürfnissen in das Bildungssystem integriert, meist jedoch in speziellen Einrichtungen abseits der allgemeinen Bildungsbemühungen. Kinder, die als nicht bildungsfähig galten, wurden lange Zeit von diesen Bemühungen ausgeschlossen.

Geschichte der Sonderpädagogik: Die Autorin zeigt, wie Kinder mit Lebens- und Lernschwierigkeiten in öffentliche Bildungsprozesse integriert wurden. Sie beschreibt auch die Entwicklungen, die darauf abzielen, die Kluft zwischen allgemeinen und speziellen Bildungsbemühungen zu überbrücken, sowie die fortlaufenden Herausforderungen der Ausgrenzung.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in sechs historische Perioden unterteilt:

  1. Pädagogik der Aufklärung (spätes 18. Jahrhundert):
    • Erste Ideen zur Bildsamkeit behinderter Kinder und die Gründung von Schulen für blinde und gehörlose Kinder.
  2. Bildung und bürgerliche Gesellschaft (19. Jahrhundert bis etwa 1860):
    • Reformen in Preußen und die ersten Bildungsbemühungen für behinderte Kinder, insbesondere für blinde und gehörlose Kinder.
  3. Industrialisierung und soziale Ungleichheit (1871–1918):
    • Weiterentwicklung sonderpädagogischer Einrichtungen und die Entstehung der Hilfsschulen. Kritik an den Hilfsschulen und internationale Vergleiche.
  4. Demokratischer Aufbruch und „Blüte der Heilpädagogik“ (1918–1933):
    • Verbindungen zwischen allgemeiner Pädagogik und Reformpädagogik, Streben nach Internationalität, jüdische Heilpädagogik und die Rolle der Frauen in der Sonderpädagogik.
  5. Rassenpolitik und gesellschaftliche Ausgrenzung (1933–1945):
    • Ideologische Grundlagen und Praxis der nationalsozialistischen Behinderungspolitik. Spezielle Betrachtung der Hilfsschule und der Sonderschulpädagogen.
  6. Traumatisierung und Neuanfang (1945–1989):
    • Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Vergleich und Folgerungen aus diesen parallelen Entwicklungen.

Ein abschließender Ausblick mit dem Titel „Erfolge, Niederlagen, Gefährdungen“ diskutiert die Frage nach der richtigen Institution und dem Ruf nach Reformen innerhalb des gesamten Bildungs- und Erziehungswesens.

Diskussion und Bewertung

Das Buch ist als Lehrbuch konzipiert und bietet eine schnelle Orientierung durch Randspalten mit zentralen Stichworten und Piktogrammen, die auf Begriffsklärungen, Definitionen, Pro- und Contra-Positionen sowie Beispiele hinweisen. Es enthält zahlreiche Quellenbezüge und ist insgesamt gut lesbar.

Die Autorin betont im Vorwort, dass es keine einzige, endgültige Geschichte gibt. Stattdessen können wir uns immer nur Ausschnitte der Vergangenheit in unser Gedächtnis zurückholen. Eine Einführung in die Geschichte kann also nur begründet auswählen. Diese Auswahl führt dazu, dass das vorliegende Buch keine kontinuierliche Geschichtsdarstellung bietet, sondern die in jeder Periode besonders auffallenden Aspekte betont. Dies bedeutet, dass einige Themen intensiver behandelt werden als andere.

Fazit

Die Autorin möchte mit ihrer Einführung ein Verständnis für historisches Denken fördern und Kenntnisse über vergangene und gegenwärtig relevante Fragen und Probleme vermitteln. Das Buch richtet sich an alle, die sich für eine umfassende geschichtliche Betrachtung der Sonderpädagogik interessieren und über die Betrachtung einzelner Disziplinen hinausgehen möchten. Es zeigt, dass die Geschichte der Sonderpädagogik sowohl Erfolge als auch Herausforderungen und Ausgrenzungen umfasst.

Die Verhinderung von Ausgrenzungsprozessen bleibt eine aktuelle Herausforderung der Sonderpädagogik, und das Buch bietet wertvolle Einsichten und Anregungen, um dieser Herausforderung zu begegnen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ UTB GmbH; 3. unv. Aufl. Edition (18. März 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 384 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3825288382
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3825288389
  • Abmessungen ‏ : ‎ 17.3 x 2.2 x 23.6 cm

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