/ Mai 4, 2025/ Buch

In den stillen Gassen Kamakuras, wo der Duft von Tinte in der Luft liegt und das Rascheln von Papier fast wie Musik klingt, kehrt Hatoko nach Jahren der Ferne zurück. Die junge Frau ist 25 Jahre alt, als sie in den alten Laden ihrer verstorbenen Großmutter tritt – ein kleines, aber magisches Schreibwarenparadies voller Pinsel, Briefpapier und Erinnerungen. Der zarte Duft von japanischem Washi-Papier mischt sich mit melancholischer Kindheit – und mit der leisen Hoffnung auf einen Neubeginn.

Kamakura, einst eine der alten Hauptstädte Japans, trägt ihre Geschichte wie ein kostbares Gewand. Zwischen Tempeln, engen Straßen und den wogenden Kirschblüten der Jahreszeiten scheint die Zeit hier langsamer zu fließen. Und genau hier, in einem Laden, in dem jedes Schreibutensil sorgfältig seinen Platz gefunden hat, beginnt Hatokos Reise zurück zu sich selbst – mit jeder Zeile, die sie für andere schreibt.

Denn Hatoko übernimmt nicht nur ein Geschäft. Sie tritt auch in die Rolle der öffentlichen Schreiberin, ein altes, fast vergessenes Handwerk, das ihre Großmutter mit Hingabe gepflegt hat. Briefe für andere Menschen zu schreiben – das ist mehr als nur das Aneinanderreihen schöner Worte. Es ist ein Akt der Zuwendung, der Empathie, fast wie eine zarte Kunst. Für jede Geschichte, die sie zu Papier bringt, wählt Hatoko nicht nur mit Bedacht die Worte, sondern auch das Papier, die Tinte, die Form der Handschrift und selbst die passende Briefmarke. Ihre Briefe sind kleine Kunstwerke voller Gefühl.

So verfasst Hatoko Liebesbriefe voller Sehnsucht, Briefe des Abschieds und der Vergebung, Botschaften des Dankes, die jahrzehntelanges Schweigen durchbrechen. Mit jeder Zeile berührt sie das Herz der Empfänger – und heilt dabei ein Stück weit auch ihr eigenes.

Dabei geschieht etwas Wundervolles: Während sie den Menschen hilft, Worte für ihre tiefsten Gefühle zu finden, findet sie selbst wieder Anschluss an ihre Heimat, an die Menschen und ihre eigene Vergangenheit. Alte Freundschaften erwachen neu, stille Nachbarn treten aus dem Schatten, kleine Begegnungen füllen die Tage mit Wärme. Und langsam, ganz leise, wird aus dem stillen Laden ein Ort des Austauschs, ein Ort, an dem eine unerwartete Gemeinschaft wächst, getragen vom Zauber der Handschrift.

Hatoko, die so lange auf der Suche war, beginnt zu verstehen: Manchmal muss man erst den Worten anderer eine Stimme geben, um die eigene zu finden. In ihren sorgfältig formulierten Briefen lebt nicht nur die Vergangenheit – sie öffnen Türen in die Zukunft.

Ito Ogawa erzählt diese Geschichte mit großer Zärtlichkeit. Ihre Sprache ist ruhig, fast meditativ, wie das Geräusch eines Tuschpinsels auf rauem Papier. Die Beschreibungen sind feinfühlig und voller Liebe zum Detail – sei es die Auswahl eines handgeschöpften Briefbogens oder die Stille, die zwischen zwei Schneeflocken liegt. Der Roman ist wie ein Spaziergang durch einen japanischen Garten: man entdeckt nichts durch Hast, sondern durch Langsamkeit, durch das genaue Hinsehen.

Dabei ist nicht nur die Handlung von poetischem Zauber durchdrungen, sondern auch die Form des Buches selbst. Die Briefe, die Hatoko im Laufe der Geschichte schreibt, sind im Original abgedruckt – auf Japanisch, in kunstvoller Kalligrafie. Ihre deutsche Übersetzung am Ende des Buches ist in Spiegelschrift gehalten – ein poetischer Einfall, der den Leser einlädt, innezuhalten und den Blick zu verändern.

Doch auch in all der Schönheit liegt eine gewisse Melancholie. Hatokos Leben bleibt zurückhaltend, manchmal fast einsam. Ihre Gedanken über sich selbst sind spärlich – sie lebt mehr durch das, was sie für andere tut. Ihre eigene Geschichte, ihre Sehnsüchte, ihr Herz bleiben hinter der Papierwand verborgen. Und dennoch wirkt sie auf den Leser wie eine zarte Melodie, die lange nachklingt.

„Hatokos wunderbarer Schreibwarenladen“ ist kein Roman der lauten Wendungen oder dramatischen Enthüllungen. Es ist ein leises, ein liebevolles Buch – ein Roman über die Magie der geschriebenen Worte, über das, was bleibt, wenn gesprochenes längst verklungen ist. Über die Kraft, die darin liegt, sich Zeit zu nehmen. Für Gedanken, für Menschen, für das Leben selbst.

Wer sich auf diese Geschichte einlässt, der wird nicht einfach nur lesen – er wird lauschen, fühlen, staunen. Und vielleicht auch selbst einmal wieder einen Brief schreiben. Von Hand. Mit Herz.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Droemer HC; 2. Edition (1. April 2025)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3426561018
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426561010
  • Originaltitel ‏ : ‎ Tsubaki Bunguten
  • Abmessungen ‏ : ‎ 12.8 x 2.51 x 20.9 cm
  • 22 Euro

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