/ Mai 22, 2023/ Romane

Gelegentlich tauche ich gerne in die düstere Gedankenwelt von Autoren ein, doch man muss rechtzeitig wieder daraus auftauchen!

Felix, der Glückliche, hat von seiner Mutter eine Wohnung geerbt, die ihm finanziell über Wasser hält. Früher hatte er einen normalen Job und gründete eine Firma namens „Wastefood“, um das Legalisieren von Containern zu ermöglichen. Doch die Pandemie hat sein Geschäft ruiniert, wie ihm sein Bankberater sagt. Was hat er nun vor? Etwa arbeiten? Das Normale kommt für Felix nicht in Frage. Er möchte einfach in den Tag hineinleben und sehen, was der Tag bringt.

Mit seinem Roman „Was der Tag bringt“ erinnert David Schalko an Eichendorffs „Taugenichts“. Auch Klaus Modick versuchte sich 2021 mit „Fahrtwind“ an einer Neuauflage, jedoch meiner Meinung nach ohne Erfolg. Während Eichendorff und Modick ihren Taugenichtsen jeweils eine eingebaute Glücksmaschine verpassen, durch die sich jede aussichtslos erscheinende Situation unerwartet zum Guten wendet, geht Schalko mit seinem Protagonisten genau das Gegenteil an. Felix erfüllt seinen Namen leider nicht mit Ehre: Er gerät von einer misslichen Lage in die nächste. Nein, Schalkos Taugenichts ist kein Glückskind. Felix ist ein Antiheld.

Was genau passiert? Felix vermietet zeitweise seine Wohnung und muss für acht Tage im Monat verschwinden. Dadurch verdient er genug Geld, um knapp über die Runden zu kommen, wenn er sparsam lebt. Während seiner Abwesenheit zerstört er versehentlich seine sozialen Kontakte, obwohl er das eigentlich nicht will. Zusätzlich macht sich Felix Gedanken über die Hoffnungslosigkeit des Lebens, die Unfassbarkeit und Entwurzelung des Menschen. Das Thema des Verschwindens wird früh im Roman deutlich. „Was der Tag bringt“ ist ein deprimierender Roman mit surrealistischen Elementen.

Natürlich begegnet Felix auch seinem „Mephisto“. Dieser zeigt ihm den Weg ins Paradies des Kapitalismus. An einem geheimnisvollen Ort kostet eine Übernachtung nur zehn Euro. Will Felix Mephisto dorthin begleiten? Natürlich will er das. Damit hätte er für die nächsten acht Tage ausgesorgt. Doch der Haken an der Sache ist, dass für jede zusätzliche Leistung extra bezahlt werden muss: Duschen kostet extra, Handy aufladen kostet extra, Türgriff benutzen kostet extra, den Flur entlanggehen kostet extra, Essen und Trinken sowieso, selbst ein Gespräch mit einem Gast kostet extra, usw. Die Klimaanlage kostet extra, es ist schließlich Sommer. Im Winter würde das Anschalten der Heizung extra kosten. Ganz wie im wirklichen Leben.

Ich finde diese Geschichte amüsant, denn der normale bürgerliche Kapitalismus funktioniert nicht viel anders. Es ist eine feine Allegorie, die Schalko erschafft: Alles im Leben hat seinen Preis. Sicherlich muss Felix aufgrund seines knappen Budgets sorgfältig überlegen, was ihm etwas wert ist und was nicht. Soll er lieber einen Schinkentoast kaufen oder duschen? Soll er im Zimmer bleiben und nichts tun, was nichts kostet, oder fernsehen, was extra kostet? Ich glaube mich zu erinnern, dass der Gang zur Toilette kostenlos war.

Natürlich stellt Mephisto, der sich in diesem Fall Eyres nennt, Felix eine Falle, und Felix verlässt den Berg des Kapitals, um sich unter die Obdachlosen zu mischen.

Es ist interessant und überraschend, Felix von einer Katastrophe in die nächste zu begleiten, aber der Roman „Was der Tag bringt“ ist keinesfalls als Komödie konzipiert. Der Protagonist sinnt unentwegt darüber nach, wie er sich auflösen oder mit dem Universum verschmelzen kann. Felix ist besessen davon, sich auflösen zu wollen.

Endlose, lebensverneinende Monologe begleiten den Leser. Der Roman endet, wie er begonnen hat: Felix scheitert, lernt nichts daraus und fängt von vorne an. Das Motiv der Auflösung oder Verschmelzung bringt den Roman in die Nähe der Existenzialisten. Eine buddhistische Interpretation wäre auch möglich; das Ende ist gleichzeitig der Anfang, die Existenzen kreisen qualvoll, bis sie letztendlich im Nirwana enden.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Kiepenheuer&Witsch; 1. Edition (26. April 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 304 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3462004085
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3462004083
  • Abmessungen ‏ : ‎ 12.9 x 3.7 x 20.4 cm

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