/ November 11, 2025/ Buch

„Als habe ich zwei Leben“ von Ingeborg Gleichauf ist ein Buch über die bekannte deutsche Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933–1973). Sie zählt zu den bedeutendsten Autorinnen der DDR und des 20. Jahrhunderts überhaupt. Gleichauf nähert sich ihr auf besondere Weise: Sie zeigt, dass man Reimanns Leben und Werk nicht trennen kann. Ihr Schreiben war eng mit ihrem Dasein verbunden – alles, was sie erlebte, fand sich früher oder später in ihren Texten wieder.

Brigitte Reimann war eine Frau voller Widersprüche. Sie wollte intensiv leben, lieben und schreiben. Sie stellte hohe Ansprüche an sich selbst und an die Menschen um sie herum. Gleichzeitig litt sie unter den Grenzen, die ihr die Gesellschaft, die Politik und ihr eigener Körper setzten. Ingeborg Gleichauf beschreibt sie als eine Autorin, die in vielen Welten zugleich lebte – als Künstlerin, als Frau, als Bürgerin eines Staates, der Kunst und Freiheit oft in enge Bahnen lenken wollte.

Der Titel „Als habe ich zwei Leben“ passt perfekt zu dieser Zerrissenheit. Reimann führte tatsächlich eine Art Doppelleben: das reale, mit Arbeit, Krankheit, Beziehungen und Konflikten – und das literarische, in dem sie all das verarbeitete, umformte und neu erschuf. Gleichauf zeigt, wie Reimann ihre Erfahrungen nicht einfach aufschrieb, sondern daraus Kunst machte. Ihre Figuren sind keine bloßen Abbilder, sondern Spiegel ihrer inneren Welt. Sie schuf Menschen auf dem Papier, die wie sie selbst mit Zweifeln, Träumen und Enttäuschungen kämpfen.

Besonders eindrucksvoll schildert Gleichauf, wie Reimanns Schreiben zu einem Überlebensmittel wurde. In ihren Tagebüchern und Briefen spricht sie offen über ihr Leiden, über ihre Krebserkrankung, über die Zerrissenheit zwischen Anpassung und Auflehnung. Sie nennt ihr Leben „provisorisch“ – etwas, das nie ganz fertig, nie ganz sicher ist. Dennoch kämpft sie bis zuletzt darum, ihre Stimme zu behalten.

Gleichauf geht in ihrem Buch nicht nur auf Reimanns bekannteste Werke wie „Franziska Linkerhand“ oder „Ankunft im Alltag“ ein, sondern auch auf ihre weniger bekannten Texte, auf ihre Notizen, Gedanken und die Entstehung ihrer Figuren. Dabei wird deutlich, dass Reimann eine außergewöhnlich bewusste Schriftstellerin war. Sie überlegte genau, wie sie ihre Geschichten aufbaute, wie sie Sprache formte und wie sie Realität und Fiktion miteinander verband. Gleichauf nennt sie deshalb eine „Prosaarchitektin“ – jemand, der sorgfältig mit Worten baut und ganze Lebensräume schafft.

Reimanns Welt ist keine einfache. Ihre Figuren leben in einer Gesellschaft, die sich verändern will, aber nicht weiß, wie. Sie stoßen auf Widerstände, sowohl im privaten als auch im politischen Leben. Es geht um Liebe, Selbstbestimmung, Verantwortung und Freiheit – Themen, die damals wie heute aktuell sind.

Gleichauf gelingt es, diese komplexen Zusammenhänge verständlich und einfühlsam zu beschreiben. Sie schreibt nicht trocken-wissenschaftlich, sondern mit Respekt und Nähe zur Autorin. Sie zeigt Reimann als Frau, die voller Leidenschaft schrieb und zugleich mit den Grenzen ihrer Zeit zu kämpfen hatte.

Das Buch ist also keine klassische Biografie, sondern eine literarische Annäherung. Es zeigt, wie untrennbar Reimanns Leben und Schreiben verbunden sind, wie sich beide ständig gegenseitig beeinflussen. Gleichauf führt die Lesenden durch die verschiedenen Schichten dieses Lebens – durch Freude und Schmerz, Erfolg und Enttäuschung, Hoffnung und Verzweiflung.

Dabei wird deutlich: Brigitte Reimann war eine Frau, die immer weiter suchte – nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit, nach einem Ort, an dem sie wirklich „zu Hause“ sein konnte. Ingeborg Gleichauf beschreibt diese Suche mit großer Achtung und Sensibilität. Sie macht spürbar, wie Reimanns Werk aus dieser Spannung heraus entsteht: zwischen Anpassung und Rebellion, zwischen Leben und Literatur.

Am Ende bleibt das Bild einer Schriftstellerin, die sich selbst nie geschont hat. Ihr Werk, ihre Tagebücher und Briefe erzählen von einer Frau, die alles aufschrieb, um zu begreifen, wer sie war – und was es heißt, in einer widersprüchlichen Welt zu leben.

Gleichaufs Buch lädt dazu ein, Brigitte Reimann neu zu entdecken: als Mensch, als Autorin, als Zeitzeugin. Es zeigt, wie aktuell ihre Gedanken und Gefühle auch heute noch sind. Denn Reimanns Fragen – nach Sinn, Freiheit, Liebe und Wahrhaftigkeit – sind zeitlos.

„Als habe ich zwei Leben“ ist somit mehr als eine Biografie. Es ist eine feinfühlige Reise durch das Leben und Denken einer Frau, die schrieb, als ginge es um alles – und für die Schreiben tatsächlich Leben bedeutete.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Mitteldeutscher Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 10. Juni 2024
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 168 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3963117117
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3963117114
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.5 x 1.1 x 21 cm
  • 18 Euro

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