/ Oktober 12, 2025/ Buch, Romane

Also, stell dir vor, du bist auf einer richtig schicken Londoner Party Anfang des 20. Jahrhunderts – elegante Damen, Gentlemen im Smoking, Gläser klirren, und irgendwo im Hintergrund läuft leise Musik. Genau da spielt sich Mrs Dalloways Party ab – aber das hier ist kein oberflächlicher High-Society-Klatsch, sondern ein Blick hinter die Fassade, wie ihn nur Virginia Woolf hinbekommt.

Bevor sie ihren großen Roman Mrs Dalloway geschrieben hat – den man heute ja als einen der wichtigsten Texte der literarischen Moderne kennt –, hat Woolf an diesen Party-Geschichten herumexperimentiert. Man könnte sagen, das sind ihre „Generalproben“ für den großen Auftritt. In diesen Erzählungen probiert sie schon aus, was später ihr Markenzeichen wird: diese ganz feine, fast fließende Art, in die Gedanken und Gefühle ihrer Figuren hineinzuschlüpfen, ohne dass man merkt, wo der Erzähler aufhört und die Figur anfängt.

Die Kurzgeschichten in Mrs Dalloways Party sind kleine Momentaufnahmen, aber sie haben’s in sich. Da gibt’s zum Beispiel diese junge Frau, total nervös, weil sie glaubt, die anderen Gäste machen sich über ihr gelbes Seidenkleid lustig. Oder zwei Fremde, die sich zum ersten Mal in Clarissa Dalloways Salon begegnen – und zwischen ihnen liegt plötzlich so eine seltsam dichte Spannung, dass man denkt: Hier passiert gleich was, auch wenn gar nichts passiert. Diese Geschichten wirken fast wie einzelne Blitze in einem dunklen Raum – sie erhellen kurz die Menschen, ihre Unsicherheiten, Eitelkeiten, Sehnsüchte – und zack, ist es wieder vorbei.

Woolf zeigt hier schon, was sie so besonders macht: Sie interessiert sich nicht für große Dramen oder laute Szenen. Sie schaut lieber in die Köpfe ihrer Figuren. Jeder Gedanke, jedes Zögern, jeder Blick bekommt bei ihr Gewicht. Und so wird die Party – eigentlich nur ein Abend, ein gesellschaftliches Ereignis – zum kompletten Spiegel der Gesellschaft. Die Figuren stehen nebeneinander, reden über belanglose Dinge, und doch ist da diese unterschwellige Spannung, dieses Gefühl, dass jeder innerlich ein kleines Chaos mit sich herumträgt.

Was dabei fasziniert, ist, wie Woolf es schafft, aus etwas scheinbar Banales wie einer Abendgesellschaft ein literarisches Experiment zu machen. Sie lässt Zeit und Bewusstsein ineinanderfließen – manchmal weiß man gar nicht mehr, ob man gerade in der Realität oder im Kopf einer Figur ist. Dieses Changieren zwischen außen und innen, zwischen dem, was passiert, und dem, was gedacht wird, ist typisch Woolf: elegant, poetisch, manchmal melancholisch, aber immer messerscharf beobachtet.

In dieser neuen Ausgabe – mit Nachwort und Übersetzung von Hans-Christian Oeser – bekommt man nicht nur einen Einblick in Woolfs Schreibprozess, sondern auch in die Geburtsstunde eines modernen Klassikers. Oeser gelingt es, den feinen Ton der englischen Vorlage ins Deutsche zu retten, ohne dass die Sprache altbacken klingt. Er trifft genau dieses Schweben zwischen Ironie und Empfindsamkeit, das Woolf so einzigartig macht.

Und klar, das Ganze ist keine seichte Lektüre, die man mal eben zwischen Tür und Angel liest. Aber wer sich drauf einlässt, wird mit Texten belohnt, die einen auch nach dem Lesen nicht loslassen. Man spürt die Nervosität, die Selbstzweifel, die leisen Momente der Einsamkeit – und das alles mitten in einem prunkvollen Salon, zwischen Champagner und Lichterglanz.

Unterm Strich ist Mrs Dalloways Party so etwas wie ein literarisches Making-of – aber eines, das für sich selbst steht. Es zeigt die Anfänge einer Autorin, die die Erzählkunst komplett neu gedacht hat. Jede Geschichte ist wie ein kleiner, feiner Pinselstrich, der zusammen das große Bild von Clarissa Dalloways Welt ergibt.

Wenn man also Lust hat, Virginia Woolf mal von einer etwas intimeren, experimentelleren Seite kennenzulernen – bevor sie mit Mrs Dalloway die literarische Bühne erobert hat – dann ist diese Ausgabe genau das Richtige. Elegant, tiefgründig, manchmal ironisch, manchmal herzzerreißend schön – ein kleines Buch, das mehr über das menschliche Innenleben erzählt, als so mancher dicke Roman.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Dörlemann
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 24. April 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 96 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3038201553
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3038201557
  • Originaltitel ‏ : ‎ Mrs Dalloway’s Party
  • Abmessungen ‏ : ‎ 11.9 x 3.5 x 19.3 cm
  • 20 Euro

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