/ August 10, 2025/ Buch

1

Das Buch „Aspekte des Kolonialen in der Geschichte von Niedersachsen und Bremen“, herausgegeben von Meike Buck und Henning Steinführer, zeigt, dass auch der Nordwesten Deutschlands eine vielfältige koloniale Vergangenheit hat – und dass diese bis heute Spuren hinterlässt.

Oft denkt man bei „Kolonialgeschichte“ zuerst an weit entfernte Orte in Afrika, Asien oder der Südsee. Doch dieser Sammelband macht deutlich: Auch Städte und Regionen in Deutschland selbst waren eng in das weltweite Kolonialsystem eingebunden. Kaufleute, Reedereien, Häfen und Industrien aus Niedersachsen und Bremen profitierten von kolonialem Handel und Herrschaft – und trugen umgekehrt dazu bei, dieses System aufrechtzuerhalten.

Seit den 2000er-Jahren wächst in Deutschland das Interesse an der Kolonialgeschichte. Anfangs ging es vor allem um die großen politischen und militärischen Fragen: Wie verlief die deutsche Kolonialherrschaft in Übersee, wie war sie im Vergleich zu anderen europäischen Mächten einzuordnen, und welche wirtschaftlichen Interessen standen dahinter? Mit der Zeit hat sich der Blick jedoch erweitert. Historikerinnen und Historiker fragen heute verstärkt danach, welche Rolle einzelne deutsche Städte, Regionen und Institutionen in diesem System spielten.

Der vorliegende Band ist aus einer Tagung entstanden, die 2022 in Cuxhaven stattfand. Dort kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um über die kolonialen Bezüge der Landesgeschichte von Niedersachsen und Bremen zu diskutieren. Die Ergebnisse sind nun in mehreren Fachbeiträgen zusammengetragen.

Die Themen sind vielfältig:

  • Bremer Kaufleute und der Sklavenhandel: Bremen war ein bedeutender Handelsstandort. Auch wenn die Stadt nicht offiziell Kolonialmacht war, beteiligten sich ihre Kaufleute am transatlantischen Handel, der Sklaven, Rohstoffe und Waren zwischen Europa, Afrika und Amerika austauschte.
  • Der Norddeutsche Lloyd: Diese große Bremer Reederei spielte eine zentrale Rolle im Überseehandel und nutzte die maritime Infrastruktur für den Transport von Gütern, die aus den Kolonien stammten oder dorthin geliefert wurden.
  • Koloniale Infrastruktur und Wirtschaftsnetzwerke: Häfen wie Bremen oder Emden dienten als Drehscheiben für Waren aus Übersee – etwa Kaffee, Kakao, Baumwolle oder Gewürze. Auch Schiffbau, Banken und Versicherungen im Nordwesten profitierten davon.
  • Alltagsbezüge: Kolonialwarenläden, Ausstellungen und Werbung prägten auch in Niedersachsen und Bremen ein Bild von „Ferne“ und „Exotik“, das eng mit kolonialen Denkmustern verbunden war.
  • Erinnerungskultur heute: Mehrere Beiträge widmen sich der Frage, wie in Nordwestdeutschland heute an die koloniale Vergangenheit erinnert wird. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Straßennamen, Denkmälern und Museumsbeständen – etwa mit Objekten aus kolonialem Kontext, die teils noch immer in Sammlungen lagern.

Ein wichtiger Aspekt des Bandes ist die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Die koloniale Geschichte ist nicht einfach abgeschlossen. Sie wirkt bis heute nach – in wirtschaftlichen Strukturen, in Bildern und Vorstellungen, aber auch in der öffentlichen Diskussion darüber, wie wir mit diesem Erbe umgehen.

Der Sammelband richtet sich nicht nur an Fachhistorikerinnen und -historiker, sondern auch an alle, die sich für die Geschichte ihrer Region interessieren. Die Beiträge machen deutlich: Kolonialgeschichte findet nicht nur „woanders“ statt, sondern beginnt oft direkt vor der eigenen Haustür. Häfen, Handelsgesellschaften, wirtschaftliche Verflechtungen und kulturelle Kontakte aus der Zeit des Kolonialismus sind Teil der Landesgeschichte von Niedersachsen und Bremen.

Indem das Buch verschiedene Perspektiven zusammenführt – von der Wirtschaftsgeschichte über die Kulturgeschichte bis hin zur heutigen Erinnerungspolitik – bietet es einen umfassenden Überblick über ein bislang oft übersehenes Kapitel der Regionalgeschichte. Es lädt dazu ein, die kolonialen Verbindungen des Nordwestens Deutschlands neu zu betrachten und kritisch zu hinterfragen.

So entsteht ein Bild von einer Region, die zwar geografisch weit entfernt von den ehemaligen Kolonien lag, aber dennoch tief in das koloniale System Europas eingebunden war – mit allen wirtschaftlichen Vorteilen für einige und mit gravierenden Folgen für Menschen in den kolonisierten Gebieten.

Ein beeindruckender Sammelband, der die koloniale Vergangenheit von Niedersachsen und Bremen anschaulich beleuchtet. Vielseitige Beiträge verbinden historische Tiefe mit aktuellem Blick und machen deutlich, wie präsent dieses Erbe bis heute ist – informativ, spannend und gut zugänglich.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Wallstein Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 16. April 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 353 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3835358367
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3835358362
  • Abmessungen ‏ : ‎ 16.2 x 2.9 x 23.3 cm
  • 32 Euro

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*