/ Juni 20, 2025/ Buch

In Rabea Edels neuem Roman „Porträt meiner Mutter mit Geistern“ geht es um drei Generationen von Frauen, die ohne Väter aufgewachsen sind. Es ist ein ruhiges, tiefgründiges und manchmal trauriges Buch über eine Familie, die vieles durchgemacht hat – über Dinge, über die lange nicht gesprochen wurde. Es ist aber auch ein Buch über Mut, Liebe und die Kraft, sich selbst neu zu erfinden.

Die Hauptfigur heißt Raisa. Sie lebt alleine mit ihrer Mutter Martha, so wie es immer war. Ihren Vater kennt Raisa nicht. Alles, was sie von ihm hat, ist sein Nachname. Mehr wollte Martha ihr nie sagen – angeblich zu ihrem Schutz. Doch Raisa spürt, dass da etwas fehlt. Sie beginnt, Fragen zu stellen. Wer war ihr Vater wirklich? Warum will ihre Mutter nicht über ihn reden?

Erst als der Nachbarsjunge Mat plötzlich verschwindet, beginnt sich etwas zu verändern. Martha fängt an zu erzählen. Zum ersten Mal bricht sie ihr Schweigen. Sie berichtet von ihrer eigenen Mutter, Dina, von der Vergangenheit, von schweren Entscheidungen, von Lügen, die manchmal helfen – und manchmal gefährlich sind. Und sie erzählt von einem Mann, den sie geliebt hat, und von einem großen Verlust, den sie nie überwunden hat.

Nach und nach erkennt Raisa, dass ihre Familie eine Geschichte hat, die viel größer ist als sie selbst. Es ist eine Geschichte, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt, in einem Land, das geprägt ist von Gewalt, Angst und dem Wunsch zu vergessen. Eine Zeit, in der viele Menschen – besonders Frauen – gelernt haben zu schweigen, um zu überleben. Doch dieses Schweigen hat einen hohen Preis.

Rabea Edel erzählt diese Geschichte mit viel Feingefühl. Ihre Sprache ist zurückhaltend und ruhig – fast sachlich –, doch gerade deshalb wirkt sie so stark. Viele Gefühle kommen nicht direkt durch die Worte, sondern entstehen beim Lesen im Kopf und im Herzen. Man spürt den Schmerz, die Traurigkeit, die Hilflosigkeit – aber auch den Mut, der manchmal zwischen den Zeilen aufblitzt.

Das Buch ist wie ein Kaleidoskop: Viele kleine Teile, viele Erinnerungen, viele Stimmen. Manches bleibt unklar oder offen, nicht jede Frage wird beantwortet. Aber genau das macht den Reiz aus: Man muss sich einlassen auf die Geschichte, geduldig sein und auch das Schweigen aushalten können. Erst dann erkennt man, was zwischen den Zeilen steckt.

„Porträt meiner Mutter mit Geistern“ ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte. Es zeigt, wie sich das Erlebte über Generationen weiterträgt – besonders wenn nicht darüber gesprochen wird. Es zeigt, wie schwer es sein kann, sich von der Vergangenheit zu lösen – und wie wichtig es ist, trotzdem nach der Wahrheit zu suchen.

Am Ende ist es Raisas eigenes Kind, das Hoffnung bringt. Durch dieses neue Leben scheint etwas in Bewegung zu kommen. Die alten Wunden beginnen langsam zu heilen. Zwar bleiben Narben zurück, aber zum ersten Mal gibt es eine echte Chance auf Frieden.

Dieses Buch ist nicht leicht zu lesen. Es verlangt Aufmerksamkeit, Zeit und ein offenes Herz. Aber es lohnt sich. Denn es erzählt von etwas sehr Menschlichem: von der Suche nach Zugehörigkeit, nach Wahrheit, nach Liebe. Und von dem Versuch, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen – trotz allem, was war.

Fazit:
„Porträt meiner Mutter mit Geistern“ ist ein tief berührender Roman über das Schweigen und das Sprechen, über Verlust und Hoffnung, über das Frausein in schwierigen Zeiten. Es ist ein kluges, poetisches Buch, das lange nachwirkt – und das man am besten nicht allein liest, sondern darüber spricht. Denn manche Geschichten müssen erzählt werden, damit sie nicht verloren gehen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ C.H.Beck
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 26. März 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 2.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 396 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3406829716
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3406829710
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.3 x 3.8 x 21.8 cm
  • 26 Euro

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*