/ Juli 22, 2025/ Buch

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Ein literarisches Höllenfeuerwerk voller Leben, Tod, Visionen und Wahnsinn – Shehan Karunatilakas «Die sieben Monde des Maali Almeida» ist ein Geniestreich der erzählerischen Imagination

Was für ein Feuerwerk! Was für ein aberwitziges, schillerndes, zutiefst verstörendes und dennoch zutiefst beglückendes Buch hat Shehan Karunatilaka mit seinem zweiten Roman geschaffen! «Die sieben Monde des Maali Almeida» ist nicht einfach nur ein preisgekrönter Roman – es ist ein literarischer Vulkanausbruch, ein irrlichternder Totentanz durch ein von Dämonen zerrissenes Sri Lanka, ein schräger Spuk voller Sprachgewalt, Witz, politischer Anklage und metaphysischer Wucht. Kein Wunder, dass dieses Werk 2022 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Die Jury nannte es «kühn, originell, komisch, gespenstisch und politisch». Und das ist noch untertrieben.

Wir begegnen Maali Almeida – schwul, zynisch, chaotisch, genial –, einem Kriegsfotografen, der post mortem aufwacht. Ermordet, ohne Erinnerung an das Wie und Warum, landet er in einer bürokratisch durchorganisierten, grotesken Vorhölle: einer Art Geisteramt, das mit Stempeln, Wartemarken und Vorschriften die Seelen sortiert. Doch Maali hat keine Zeit, sich mit metaphysischen Formalitäten aufzuhalten. Sieben Tage bleiben ihm – sieben Monde, um genau zu sein –, um das Licht zu erreichen. Ein Countdown beginnt, in dessen Verlauf Maali versucht, seine Mörder zu enttarnen und seine Sammlung kompromittierender, explosiver Fotos öffentlich zu machen – ein letzter Versuch, das von Bürgerkrieg, Korruption und ethnischen Konflikten geschundene Sri Lanka wachzurütteln.

Karunatilaka schreibt mit der fiebrigen Energie eines Exorzisten, der die Dämonen einer ganzen Nation auf Papier bannt. Die Geisterwelt, in der Maali herumirrt, ist kein stilles Jenseits. Sie ist laut, grell, grotesk, absurd und doch – irgendwie – erschreckend real. Hier spuken Ahnen, Rachegeister, ehemalige Kindersoldaten, betrogene Liebhaber, zerschossene Dissidenten, dämonische Bürokraten. Es ist ein Albtraum mit satirischem Beigeschmack, ein metaphysischer Basar, an dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Fantasie zu einem dichten Netz verweben.

Maali selbst ist ein Antiheld wie aus dem Bilderbuch: ein Spieler, Narzisst, Provokateur, Idealist – einer, der sich mit Kamera und Zynismus in den blutigen Dschungel der Wahrheit gestürzt hat. Doch gerade aus dieser inneren Widersprüchlichkeit erwächst seine Kraft. Er ist verletzlich und mutig zugleich. In seinem Versuch, die Welt zu verändern, selbst nach dem Tod, liegt etwas zutiefst Bewegendes. Es ist der Kampf eines Einzelnen gegen ein korruptes, grausames System – ein Don Quijote, der gegen Mörderbanden, Zensur und kollektives Vergessen anrennt.

Und dann ist da noch die Sprache. Was für eine Sprache! Karunatilaka erzählt nicht einfach – er lässt die Seiten explodieren. In der ungewöhnlichen zweiten Person Singular, also in der DU-Form, nimmt er den Leser mit in Maalis Kopf, in seine Ängste, seine Erinnerungen, seine Ticks, seine Sehnsucht. Dieser Stil wirkt anfangs irritierend, entwickelt aber schnell eine magnetische Sogkraft: Man fühlt sich förmlich hineingesogen in diesen fiebrigen Geist, diesen taumelnden Erzähler zwischen den Welten.

Karunatilakas Ton ist dabei so radikal wie brillant: Zartheit trifft auf Brutalität, Sarkasmus auf Trauer, Groteske auf tiefe, fast religiöse Fragen. Und trotz der allgegenwärtigen Gewalt – Folter, Massaker, Todesschwadronen – schwebt über allem ein sardonischer Humor, der den Leser immer wieder lächeln lässt, oft mitten im Grauen. Der Roman ist ein Meisterstück der Balance: nie zynisch, aber stets messerscharf; nie sentimental, aber zutiefst menschlich.

Im Zentrum steht die Frage: Was bleibt von uns? Ein paar Bilder? Eine Erinnerung? Eine Handlung, die etwas bewirkt? Maali glaubt, dass seine Fotos das Land verändern können. Und ja, sie werden am Ende ausgestellt – doch der große Umsturz bleibt aus. Eine bittere Wahrheit, so poetisch wie ernüchternd: Der Einzelne kann die Welt vielleicht nicht retten, aber er kann der Wahrheit ein Gesicht geben.

Natürlich ist «Die sieben Monde des Maali Almeida» kein einfacher Roman. Er verlangt Aufmerksamkeit, Geduld, manchmal auch starke Nerven. Die Zeitebenen springen, die Themenvielfalt ist gewaltig: Theologie, Politik, Philosophie, persönliche Schuld, queere Identität, Kolonialismus, Karma, Korruption, Medienethik. Dazu ein riesiges Figurenarsenal, das durch ein hilfreiches Register ergänzt wird. Aber wer sich einlässt auf diesen Höllenritt, wird belohnt mit einer Leseerfahrung, die einem den Atem raubt.

Der Roman ist ein politisches Manifest, ein postkolonialer Thriller, eine metaphysische Komödie, ein queeres Coming-of-Death – und in allem ein Hochgesang auf das Erzählen selbst. Ein Werk, das mutig fragt: Was bedeutet Wahrheit in einem Land der Lügen? Was bedeutet Gerechtigkeit in einem Leben nach dem Tod? Und was bedeutet Hoffnung in einer Welt, die immer wieder zerbricht?

Shehan Karunatilaka hat mit Maali Almeida eine unvergessliche Figur geschaffen – einen toten Fotografen, der mehr Leben in sich trägt als viele Lebende. Und mit seinem Roman ein Buch, das, wie die Booker-Jury sagt, «weiterhin gelesen und weiterhin lesenswert sein werde» – oh ja, und wie! Dieses Buch brennt sich ein, es lodert, es flackert, es leuchtet. Ein Meisterwerk. Ein Orkan. Ein Wunder.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Taschenbuch
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 15. April 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 544 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3499012545
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3499012549
  • Originaltitel ‏ : ‎ The Seven Moons of Maali Almeida
  • Abmessungen ‏ : ‎ 12.5 x 3.41 x 19 cm
  • 16 Euro

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