
Es gibt Romane, die nicht einfach nur gelesen werden, sondern die ihre Lesenden mit einer Intensität umfassen, dass man noch lange nach der letzten Seite in ihrer Dunkelheit nachhallt. „Die Angst, die niemals endet“, der dritte Teil der Serie um Detective Robert Kett, gehört zweifellos in diese Kategorie. Was auf den ersten Blick ein klassischer Thriller ist – ein Ermittler auf der Spur nach seiner verschwundenen Frau – entfaltet sich hier zu einem vielschichtigen, beinahe existenziellen Drama über Verlust, Hoffnung, Besessenheit und die Abgründe der menschlichen Grausamkeit.
Fünf Monate sind vergangen, seit Kett seine Frau verlor, seit sie von einer unbarmherzigen Macht aus dem Leben ihrer Familie gerissen wurde. Eine Ewigkeit für einen Mann, der mit drei Kindern allein zurückbleibt, für einen Vater, der seinen Töchtern geschworen hat, ihre Mutter zurückzubringen. Und nun, als sei das Schicksal selbst ungeduldig geworden, taucht eine Spur auf: eine verlassene Villa in London, ein Haus, das längst seinen Atem verloren hat und doch noch immer Zeuge unsäglicher Qualen ist. Schon die ersten Szenen – das Eintreffen eines Polizisten, das plötzliche Aufblitzen der Gefahr, das jähe Verstummen seines Lebens – markieren die tonale Härte dieses Romans: Hier wird nichts beschönigt, nichts abgefedert. Die Angst, von der der Titel spricht, ist nicht nur Motiv, sie ist Stimmung, sie sickert in jede Zeile.
Brodeurs – oder besser: die Erzählinstanz dieses Thrillers – Stärke liegt in der kompromisslosen Verbindung von Kriminalplot und psychologischer Tiefe. Denn Kett ist kein bloßer Held, kein unerschütterlicher Ermittler, der sich stoisch durch Verhörzimmer und Tatorte bewegt. Er ist verletzlich, bisweilen am Rand der Verzweiflung, getrieben von einer Mischung aus Pflichtbewusstsein, persönlicher Schuld und jener rastlosen Energie, die nur aus wahrer Liebe geboren werden kann. Dass er in jedem Schritt die Last seiner Kinder mit sich trägt, dass seine Ermittlungen niemals frei von der Erinnerung an ihr Lachen, ihre Fragen, ihre stillen Hoffnungen sind – all dies macht ihn zu einer Figur, deren Dringlichkeit man nicht bloß nachvollzieht, sondern mitempfindet.
Die Villa in London, dieser erste große Schauplatz, wird zu einer Chiffre für das Böse: ein Ort, in dem Mauern erzählen, in dem die Luft von unausgesprochenen Schreien erfüllt scheint. Hier verweilt der Text, fast schon in literarischer Tradition, bei der Beschreibung des Raumes – nicht, um effekthascherisch zu schockieren, sondern um die Unheimlichkeit, die Stille nach dem Grauen, spürbar zu machen. So entsteht ein Bild des Verbrechens, das mehr ist als bloße Kulisse: ein Spiegel von Kett selbst, dessen Inneres ebenso von Leere und Schmerz geprägt ist.
Doch der Roman bleibt nicht in der Stasis dieser Villa. Er ist, seinem Wesen nach, eine Bewegung, eine Jagd. Der Täter, der entkommen konnte, wirft lange Schatten, und jeder Hinweis, jeder Funke einer Spur wird für Kett zu einem Strohhalm, den er umklammert. Dass der Roman dabei nicht nur auf die Mechanik des Thrillers setzt – Ermittlungen, Wendungen, Konfrontationen –, sondern immer wieder inne hält, um die psychische Zerrissenheit seiner Hauptfigur zu beleuchten, macht ihn so besonders. Es ist nicht nur die Frage, ob er seine Frau findet, sondern was dieser Weg aus ihm macht: Welche Opfer sind erträglich, welche nicht mehr? Wann wird Liebe zur Obsession, Hoffnung zur Selbstzerstörung?
Gerade in diesen Momenten zeigt sich, dass „Die Angst, die niemals endet“ weit mehr ist als ein Genretext. Es ist ein Roman über die Unmöglichkeit, das, was man liebt, loszulassen. Ein Roman, der die Spannung nicht nur aus äußeren Bedrohungen zieht, sondern aus der inneren Zerrissenheit eines Mannes, der gezwungen ist, Ermittler, Ehemann und Vater zugleich zu sein – und dabei doch immer wieder an die Grenzen seiner Menschlichkeit stößt.
Der literarische Ton, in dem diese Geschichte voranschreitet, bleibt dabei dicht, beinahe atemlos. Szenen werden nicht in epischer Breite ausgemalt, sondern in Schärfen gesetzt, die wie Blitze die Dunkelheit durchschneiden. So wird die Spannung zu einem eigenen Rhythmus: Beschleunigung und Verzögerung, plötzliche Schocks und stille Pausen, die den Lesenden gerade deshalb nicht loslassen.
Am Ende ist es die Ambivalenz der Angst, die dieser Roman so eindrücklich vor Augen führt. Sie ist Zerstörung und Motor zugleich, sie lähmt und treibt an, sie hält gefangen – und macht doch überlebensfähig. „Die Angst, die niemals endet“ wird damit zu einer Parabel auf das Menschsein im Angesicht des Unfassbaren.
Wer diesen Band liest, betritt keine leichte Lektüre. Aber er betritt eine Welt, die so eindringlich, so packend ist, dass man ihr nicht entrinnen kann – und vielleicht auch nicht will. Denn in der Dunkelheit von London, in den Schatten dieser alten Villa, in der unermüdlichen Jagd eines verzweifelten Vaters liegt ein Kern, der größer ist als jeder Kriminalfall: die unerschütterliche Kraft der Liebe.
- Herausgeber : Rowohlt Taschenbuch
- Erscheinungstermin : 17. Juni 2025
- Auflage : 2.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 320 Seiten
- ISBN-10 : 3499016753
- ISBN-13 : 978-3499016752
- Originaltitel : Three Little Pigs
- Abmessungen : 12.5 x 2.2 x 19 cm
- Buch 3 von 5 : Detective Robert Kett
- 14 Euro