/ September 15, 2025/ Buch

Einen Vulkan besteigen: Minimale Geschichten ist ein literarisches Kleinod, das zeigt, wie große Themen in kleinen Formen ihren Widerhall finden können. Annette Pehnt, die zuletzt mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds ausgezeichnet wurde, legt mit diesem Band ein Werk vor, das auf den ersten Blick schlicht wirkt, sich jedoch als ebenso tiefgründig wie vielschichtig erweist.

Die Geschichten sind kurz, manchmal nur wenige Seiten, und doch entsteht in ihnen eine Intensität, die den Leser sofort fesselt. Pehnt versteht es, mit knappen Sätzen und einer präzisen Sprache ganze Welten zu eröffnen. Jedes Wort sitzt, keines ist überflüssig. Sie arbeitet mit Reduktion, und gerade darin liegt ihre Meisterschaft: In der Knappheit entfaltet sich eine Dichte, die nachhallt und zum Nachdenken zwingt.

Der Band führt uns in scheinbar alltägliche Situationen: eine Reisegruppe, ein Fährmann, eine Schwesterbeziehung, ein Goldschmied. Es sind Figuren, die unscheinbar erscheinen, Begebenheiten, die banal wirken könnten. Doch Pehnt hebt sie heraus, schärft unseren Blick und macht das Verborgene sichtbar. Plötzlich kippt eine Szene, ein Detail verändert den gesamten Verlauf, und wir erkennen, wie unvorhersehbar, wie fragil und wie bedeutungsvoll das Leben ist.

Jede der Geschichten ist wie eine Miniatur, die am Ende novellenartig auf den Punkt gebracht wird. Da kippt ein Reiseleiter in Ohnmacht und reißt die Ordnung der Reisegruppe mit sich. Der Fährmann, der Tag für Tag die gleiche Route fährt, erlebt eine unverhoffte Wendung. Eine Frau ringt mit dem Wunsch nach einer Schwester, der seltsamere Blüten treibt, als sie selbst ahnt. Und ein Goldschmied trifft auf eine letzte Kundin, deren Anwesenheit sein Leben verändert. Nichts davon ist vorhersehbar, alles öffnet neue Räume.

Was diese Texte so besonders macht, ist die Offenheit, die sie in sich tragen. Sie stellen Fragen, ohne sie zu beantworten. Sie lassen uns Raum für eigene Gedanken, eigene Assoziationen. Manchmal sind sie zart, manchmal hart, immer aber eindringlich. Sie zeigen Liebe und Einsamkeit, Sehnsucht und Verlust, Überraschung und Vergänglichkeit. Alles, was uns Menschen ausmacht, findet sich in diesen Miniaturen.

Pehnt ist eine Meisterin der Andeutung. Ihre Geschichten wirken wie nahe am Schweigen geschrieben – und doch sind sie voller Bedeutung. Zwischen den Zeilen entsteht eine Intensität, die mitunter stärker wirkt als ausformulierte Erklärungen. Genau das macht den Reiz dieses Bandes aus: Dass er nicht alles sagt, sondern andeutet, weglässt, uns selbst hineinzieht.

Das Buch ist kein leichtes Nebenbei-Lesen, sondern lädt ein, innezuhalten. Es fordert dazu auf, nach jeder Geschichte einen Moment zu verweilen, den Text nachklingen zu lassen. Oft bleibt man überrascht, manchmal auch erstaunt oder erschüttert zurück – und immer wieder mit dem Gefühl, dass in wenigen Worten eine ganze Welt stecken kann.

Trotz der Tiefe ist Einen Vulkan besteigen kein schwerfälliges Buch. Im Gegenteil: Es macht Freude, weil es uns das Staunen zurückgibt. Es erinnert daran, dass Literatur nicht immer viele Seiten braucht, um Bedeutung zu entfalten. Dass das Wesentliche oft im Kleinen liegt. Dass Reduktion eine Form der Klarheit sein kann.

Annette Pehnt gelingt es, aus den Widersprüchen des Lebens Literatur zu machen. Missverständnisse, Liebe, Verlust, Abschied, Neuanfang – all das steckt in ihren kurzen Texten. Sie führen uns vor Augen, wie unser Leben von Moment zu Moment besteht, wie unberechenbar es ist, und wie viel Tiefe in scheinbar unscheinbaren Augenblicken steckt.

Fazit: Einen Vulkan besteigen: Minimale Geschichten ist ein außergewöhnlicher Band, der die Möglichkeiten der kurzen Form voll ausschöpft. Annette Pehnt zeigt mit leiser, eindringlicher Sprache, wie viel Kraft in Reduktion steckt. Die Texte überraschen, berühren und regen zum Nachdenken an. Sie sind zugleich poetisch und existenziell, leicht und tief. Wer bereit ist, sich auf diese besonderen Miniaturen einzulassen, wird reich belohnt – mit Geschichten, die lange nachwirken und das Wesen des Menschseins in wenigen, präzisen Worten sichtbar machen.

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  • Herausgeber ‏ : ‎ Piper
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 1. August 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 288 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3492074049
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3492074049
  • Abmessungen ‏ : ‎ 12.8 x 3.3 x 21 cm
  • 24 Euro

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