/ Oktober 19, 2025/ Romane

Also, Leute, haltet euch fest: Mit „Der Westen: Eine Erfindung der globalen Welt“ hat die britische Historikerin Josephine Quinn ein Geschichtsbuch geschrieben, das mal so richtig mit den alten Mythen aufräumt. Keine Sorge – es ist kein staubtrockener Wälzer, bei dem man nach drei Seiten sanft ins Koma fällt. Nein, das Ding liest sich wie ein Abenteuerroman mit Hirn. Nur dass hier keine Drachen vorkommen, sondern Griechen, Römer, Phönizier, Ägypter, Inder, Araber und eine ganze Truppe von Menschen, die sich gegenseitig Ideen, Erfindungen und manchmal auch ganze Kulturen geklaut haben.

Denn, Überraschung: Der Westen – so wie wir ihn kennen – wurde nicht in Athen erfunden, auch nicht in Rom, sondern ist eher das Ergebnis von 4000 Jahren globalem Durcheinander. Handel, Liebe, Krieg, Diebstahl – alles dabei. Quinn sagt sinngemäß: „Vergesst das Bild vom heldenhaften Griechen, der in seiner Toga die Demokratie erfindet. In Wahrheit war das Ganze ein riesiges Gruppenprojekt – mit sehr vielen Mitspielern.“

Das Buch startet ungefähr 2500 Jahre vor Christus im Nahen Osten – in der sogenannten Levante. Schon damals war da ordentlich was los: Händler zogen mit Kamelen durch die Gegend, Spione tuschelten über Kupferpreise, und irgendwer erfand das Alphabet, weil keiner mehr Lust hatte, auf Tontafeln ganze Romane zu kritzeln. Von da an geht’s rund – Quinn führt uns durch die Bronzezeit, übers antike Griechenland und Rom, bis hin zur Renaissance, und zeigt dabei, dass alles, was wir heute als „westlich“ feiern, eigentlich aus wildem internationalem Ideen-Sharing entstanden ist.

Sie erklärt zum Beispiel, dass die indischen Zahlen, mit denen wir täglich rechnen, ihren Weg über arabische Gelehrte nach Europa fanden. Oder dass die ersten Buchstaben unserer Alphabete von levantinischen Arbeitern in Ägypten erfunden wurden, die sich wahrscheinlich dachten: „Wenn schon schuften, dann wenigstens effizient schreiben!“ Kurz gesagt: Der Westen war nie ein einsamer Held, sondern immer Teil eines globalen Gruppenchats, in dem ständig neue Nachrichten, Ideen und Streitigkeiten hin- und hergeschickt wurden.

Und Quinn erzählt das Ganze mit einem herrlich trockenen britischen Humor. Wenn sie über „die Erfindung des Westens“ spricht, klingt das manchmal, als würde sie sich selbst ein bisschen über die ganze Idee lustig machen – denn wer kam überhaupt auf die Schnapsidee, die Welt in „Westen“ und „Resten“ zu teilen? Spoiler: Die Europäer natürlich, die sich gern für das Zentrum des Universums hielten. Quinn winkt da nur müde ab und sagt sinngemäß: „Leute, schaut mal genauer hin – die Welt war schon immer miteinander verflochten. Ihr habt das nur vergessen.“

Das Tolle ist, dass sie bei all der Gelehrsamkeit total verständlich bleibt. Sie jongliert mit großen Themen – Globalisierung, Kulturtransfer, Kolonialismus, Identität – aber ohne dass einem der Kopf raucht. Stattdessen liest man mit offenem Mund und denkt ständig: „Moment mal … das wusste ich nicht!“ Zum Beispiel, dass schon in der Antike Leute um die halbe Welt gereist sind – nicht, um Selfies zu machen, sondern um Handel zu treiben, Wissen zu tauschen oder einfach mal zu gucken, was hinterm Horizont liegt.

Quinn hat offenbar keine Angst vor großen Gedanken, aber auch keine Ehrfurcht vor alten Geschichten. Sie haut Thesen raus, die manchen Geschichtslehrer nervös machen dürften. Griechenland und Rom als Wiege der Zivilisation? Pfff. Eher zwei Stationen auf einer endlos langen Weltreise der Ideen. Und der „Westen“? Eher eine Marketingkampagne mit 4000 Jahren Laufzeit.

Man kann das Buch also lesen, um was über Geschichte zu lernen – oder einfach, um sich köstlich über die Ironie der Welt zu amüsieren. Denn Quinn zeigt immer wieder: Menschen sind seit Jahrtausenden gleich. Sie klauen voneinander, sie streiten, sie mischen sich ein, und am Ende behauptet jeder, er habe alles erfunden.

Besonders genial ist auch, wie Quinn mit kleinen Details spielt. Sie erzählt von alten Handelsrouten, von Musik, Kunst, sogar von Liebesgeschichten – und plötzlich merkt man, dass Weltgeschichte gar nicht so weit weg ist, wie man dachte. Alles hängt miteinander zusammen, und das macht sie wunderbar greifbar.

Und ja, man merkt, dass das Buch „groß“ ist – im doppelten Sinn. Es steckt unfassbar viel Wissen drin, aber es liest sich trotzdem leicht. Das liegt auch an der hervorragenden Übersetzung von Andreas Thomsen, der Quinns Witz und Tempo perfekt einfängt.

Fazit:
„Der Westen: Eine Erfindung der globalen Welt“ ist Geschichte mit Spaßfaktor. Josephine Quinn zeigt, dass der Westen keine abgeschlossene Erfindung war, sondern das Ergebnis von 4000 Jahren kultureller Party, bei der alle eingeladen waren – ob Ägypter, Inder, Araber oder Griechen. Wer also glaubt, Geschichte sei langweilig, wird hier eines Besseren belehrt. Dieses Buch ist klug, frech, global und macht richtig Lust, die Vergangenheit mal mit neuen Augen zu sehen.

Oder, um es kurz zu sagen: Wenn du denkst, du weißt, woher du kommst – lies dieses Buch, und du wirst feststellen: Wir alle stammen aus einem riesigen, bunten, chaotischen Weltgeschichtsmix. Und das ist verdammt spannend.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Klett-Cotta
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 13. September 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 2. Druckaufl., 2025
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 688 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3608964703
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608964707
  • Originaltitel ‏ : ‎ How the World Made the West
  • Abmessungen ‏ : ‎ 16.7 x 5.2 x 23 cm
  • 38 Euro

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