/ November 6, 2025/ Buch, Romane

Ein literarisches Leuchten zwischen Melancholie und Leidenschaft – Meisterwerke voller Schönheit, Sehnsucht und schmerzlicher Klarheit

Es gibt Bücher, die man liest – und es gibt Bücher, in die man eintaucht wie in ein anderes Element. „Der Sonnenstich“, die Sammlung von Erzählungen aus den Jahren 1924 bis 1926, ist von jener seltenen Art, die das Herz öffnet und das Bewusstsein weitet. Iwan Bunin, der erste russische Literaturnobelpreisträger, schreibt hier in einer Sprache, die glüht, die schneidet, die betört. Jedes Wort scheint von Licht durchzogen, von Erinnerung durchdrungen, von einer tiefen, unstillbaren Sehnsucht getragen.

Bunin, der in den 1920er Jahren als berühmtester russischer Emigrant in Paris lebte, blickt in diesen Geschichten zurück – über Meere, Grenzen und Zeiten hinweg – auf das Russland seiner Jugend. Doch was er beschreibt, ist weit mehr als ein Land: Es ist eine Welt aus Gefühlen, aus unausgesprochenen Wahrheiten, aus Momenten, die so zart und vergänglich sind wie der Flügelschlag eines Schmetterlings im Sommerlicht.

Schon der Titel „Der Sonnenstich“ ist Programm. Er steht für jene blendenden Augenblicke, in denen die Leidenschaft das Denken überstrahlt, in denen das Leben selbst für einen kurzen Moment brennt – bevor die Kühle der Ernüchterung zurückkehrt. Diese Mischung aus Hitze und Melancholie, aus Glut und Schatten, durchzieht alle Erzählungen des Bandes.

Die Frauen in Bunins Welt sind selbst Lichtquellen – souverän, eigensinnig, unergründlich. Sie entziehen sich der Kontrolle, sprengen Erwartungen, lassen die Männer, die sie lieben, in Verwirrung und Bewunderung zurück. Und genau darin liegt Bunins Genie: Er zeigt Liebe nicht als romantisches Ideal, sondern als existenzielle Kraft, die den Menschen an seine Grenzen führt.

Die Erzählung „Mitjas Liebe“, von Rilke und Thomas Mann gleichermaßen bewundert, ist ein Paradebeispiel für diese psychologische Meisterschaft. Bunin zeichnet das Innenleben eines jungen Mannes mit einer Genauigkeit, die atemlos macht. Jedes Zögern, jede Schwankung zwischen Hoffnung und Verzweiflung wird spürbar – bis man selbst in Mitjas Gefühlschaos hineingezogen wird. Es ist die Anatomie der Liebe, seziert mit der Zärtlichkeit eines Dichters und der Präzision eines Chirurgen.

Noch elementarer, fast archaisch, erscheint die Liebe in „Kornett Jelagin“. Ein Offizier, eine Tat, ein Verbrechen aus Leidenschaft. In dieser Erzählung verdichtet sich Bunins Kunst zur Tragödie: Wie weit darf das Gefühl gehen, bevor es zerstört, was es liebt? Der Leser steht wie gebannt zwischen Verständnis und Abscheu, Mitleid und Schrecken – ein moralisches und emotionales Beben.

Und dann „Der Sonnenstich“ selbst – diese scheinbar leichte, flirrende Geschichte einer flüchtigen Begegnung auf einer Wolgareise. Zwei Menschen, ein Sommertag, ein Zimmer, ein Blick, eine Nacht – und dann nichts mehr. Doch aus diesem „Nichts“ formt Bunin ein Ganzes: die Essenz des Vergänglichen, das schmerzhaft Schöne im Unwiederholbaren. Man spürt den Duft des heißen Flusses, hört das leise Klirren von Glas, das Rascheln eines Kleides – und weiß, dass sich das Leben in einem einzigen Augenblick vollenden kann.

Bunins Stil ist von einer Vollkommenheit, die fast überirdisch wirkt. Seine Sprache ist klar, aber niemals kühl; poetisch, aber nie schwülstig. Er malt mit Licht und Stille, mit Andeutungen, Blicken, Atmosphären. Jede Zeile trägt eine Spannung zwischen Kontrolle und Explosion – zwischen der Sehnsucht nach Ordnung und der Macht der Gefühle, die diese Ordnung immer wieder sprengen.

Dass diese Sammlung in der herausragenden Übersetzung von Dorothea Trottenberg und unter der kundigen Herausgeberschaft von Thomas Grob erscheint, macht sie zu einem Juwel der modernen Literaturvermittlung. Die Texte behalten ihre russische Seele, klingen aber zugleich klar und gegenwärtig – wie frisch geschliffene Edelsteine, die in neuem Licht erstrahlen.

„Der Sonnenstich“ ist kein bloßes Buch – es ist eine Erfahrung. Es lässt uns spüren, was es heißt, zu lieben, zu verlieren, zu erinnern. Es erzählt vom Menschen in seiner ganzen Zartheit und Zerrissenheit. Und es erinnert uns daran, dass die größten Wahrheiten oft in den kleinsten Momenten liegen – in einem Blick, in einer Berührung, in einem Sonnenstrahl, der zu hell scheint, um ihn zu ertragen.

Ein Werk von zeitloser Schönheit, das Herz und Verstand gleichermaßen betört.
Ein Buch, das glüht – wie die Sonne selbst.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Dörlemann
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 20. März 2024
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 300 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3038201359
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3038201359
  • Abmessungen ‏ : ‎ 11.9 x 3.1 x 19 cm
  • 26 Euro

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