
Dieses Buch ist nichts für Leute, die sich gerne gemütlich im eigenen Weltbild einrichten. Bis hierher und immer weiter ist unbequem, scharf, ehrlich – und genau das macht es so lesenswert. Herausgegeben von Tanja Dückers und Ferdinand Muggenthaler, versammelt der Band Texte des Journalisten und Denkers Anton Landgraf, der viel zu früh gestorben ist, aber einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Landgraf war keiner, der auf den Tisch haute und laut Parolen brüllte. Er war eher der Typ, der mit einem Kaffee in der Hand da saß, genau hinhörte, hinsah – und dann in wenigen, klaren Sätzen alles auf den Punkt brachte. Seine Texte sind kurz, manchmal lakonisch, aber immer präzise. Und sie treffen oft dorthin, wo es weh tut: mitten in die Selbstsicherheit der politischen Linken.
Worum’s geht
Der Band sammelt eine Vielzahl seiner Essays und Kolumnen zu Themen, die aktueller kaum sein könnten:
- das Gerede von „New Work“ und der hippen digitalen Bohème,
- prekäre Arbeitsbedingungen und soziale Ungleichheit,
- Nationalismen, egal ob rechts oder links,
- linke und rechte Populismen,
- Europas Umgang mit Geflüchteten,
- deutscher Sparwahn (Austeritätspolitik) und seine Folgen,
- der manchmal schwierige Umgang der Linken mit Israel und Antisemitismus.
Kurz gesagt: Landgraf hat sich überall dort umgesehen, wo sich linke Ideale und reale Politik reiben. Und er hatte keine Angst davor, auch die eigene Seite kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Warum das spannend ist
Was dieses Buch so besonders macht, ist der Ton. Landgraf schreibt weder akademisch noch belehrend. Er diskutiert, denkt laut, zweifelt, stellt Fragen. Und gerade dadurch wirkt das Ganze unglaublich frisch. Er war Teil der antiautoritären Linken, aber er war keiner, der sich mit Schlagworten zufriedengab. Wenn jemand eine bequeme Antwort hatte, fragte er nach dem Warum. Und wenn ein Argument zu glatt klang, bohrte er nach.
Seine Texte sind manchmal ironisch, manchmal wütend, manchmal fast zärtlich in ihrer Genauigkeit. Es geht ihm nicht darum, „Recht zu haben“, sondern darum, ehrlich hinzusehen – auf die Welt, auf die eigene Haltung, auf Widersprüche, die man vielleicht lieber verdrängen würde.
Ein Buch, das Diskurs wieder aufregend macht
In einer Zeit, in der politische Diskussionen oft nur noch aus Schlagworten, Tweets und Lagerdenken bestehen, wirkt dieses Buch fast wie ein Befreiungsschlag. Hier schreibt jemand, der sich nicht für eine Seite entscheiden muss, weil er beide Seiten sehen will.
Landgraf war kein Zyniker, aber auch kein Träumer. Er glaubte an eine progressive, emanzipatorische Politik – aber eben an eine, die selbstkritisch bleibt. Und er zeigte, dass genau das der Punkt ist, an dem linke Bewegungen oft scheitern: Wenn sie sich ihrer eigenen Widersprüche nicht mehr stellen.
Seine Texte über Klassismus, soziale Ausgrenzung oder linke Arroganz gegenüber sogenannten „einfachen Leuten“ sind messerscharf. Aber nie herablassend. Im Gegenteil: Man spürt, dass er Menschen mochte – auch die, die anders denken.
Was die Herausgeber leisten
Tanja Dückers und Ferdinand Muggenthaler haben Landgrafs Texte sorgfältig zusammengestellt und mit Einleitungen versehen, die sie in den aktuellen politischen Kontext einordnen. Dazu kommen Erinnerungen und Kommentare von Kolleginnen, Freunden und Mitstreitern.
Das ergibt kein Denkmal, sondern ein lebendiges Porträt eines kritischen Geistes. Man liest Landgraf, als säße er noch immer irgendwo in einem Berliner Café, die Zeitung vor sich, eine Zigarette im Aschenbecher, und würde mit ruhiger Stimme sagen: „Na, aber so einfach ist das doch nicht, oder?“
Warum man das lesen sollte
Weil dieses Buch zeigt, dass Kritik nicht spalten muss – sondern verbinden kann, wenn sie ehrlich gemeint ist.
Weil es einen daran erinnert, dass Politik mehr ist als Parolen.
Weil es Mut macht, Fragen zu stellen, auch wenn man keine einfachen Antworten bekommt.
Und weil Anton Landgraf ein Vorbild für das ist, was heute oft fehlt: eine Haltung mit Herz und Verstand.
Fazit
Bis hierher und immer weiter ist kein Buch zum schnellen Durchblättern. Es ist eines, das man zwischendurch weglegen muss, um nachzudenken – und dann neugierig wieder aufschlägt.
Es ist klug, kritisch, manchmal anstrengend, aber auf die beste Weise. Wer sich für Politik, Medien, linke Theorie oder einfach ehrliches Denken interessiert, sollte es lesen.
Und am Ende bleibt genau das, was Landgraf immer wichtig war: nicht stehenzubleiben, sondern weiterzudenken.
- Herausgeber : edition TIAMAT
- Erscheinungstermin : 7. Oktober 2024
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 216 Seiten
- ISBN-10 : 3893203230
- ISBN-13 : 978-3893203239
- Abmessungen : 12.4 x 1.8 x 20.9 cm
- 16 Euro