„Furchen und Dellen“ von Ela Meyer ist kein leises, sanftes Buch – es ist ein Feuerwerk an Emotionen, Klarheit und Lebensklugheit. Es ist eines jener Werke, die man aufschlägt und sofort spürt: Hier schreibt jemand, der das Leben kennt – mit all seinen Brüchen, seiner Wut, seiner Wärme und seiner unbändigen Sehnsucht nach Echtheit.
Im Mittelpunkt steht Chris, eine Frau, die glaubte, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Doch der Tod ihres exzentrischen Großvaters bringt alles wieder an die Oberfläche. Mit gemischten Gefühlen kehrt sie in die Kleinstadt zurück, aus der sie vor sechs Jahren geflohen ist – voller Träume, Angst und der Hoffnung, nie wieder dorthin zurückzumüssen. Doch jetzt, gezwungen durch den Abschied, öffnet sich die Tür zu alten Wunden – und zu einem Teil von sich selbst, den sie längst vergessen glaubte.
In dieser Rückkehr steckt so viel Kraft! Chris trifft auf Doro, Rafa und Antonia, ihre alten Freundinnen und Freunde – Menschen, mit denen sie einst eine Zukunft bauen wollte, eine „Wahlfamilie“, die gemeinsam ein Kind großziehen wollte. Damals war sie ein Teil davon. Doch irgendetwas hat sie fliehen lassen – etwas, das tief in ihr vergraben lag, fest verwoben mit der Macht, die ihr Großvater über sie hatte.
Ela Meyer erzählt diese Geschichte mit einer solchen emotionalen Wucht, dass man die Seiten beinahe vibrieren spürt. Da ist Zorn über gesellschaftliche Erwartungen an Frauen – darüber, wie sie „funktionieren“ sollen, wie sie Kinder bekommen sollen oder sich gefälligst erklären müssen, wenn sie es nicht tun. Da ist aber auch eine unbändige Zärtlichkeit, wenn Chris lernt, dass Familie nicht immer Blut bedeutet, sondern Verbundenheit, Vertrauen und das gemeinsame Aushalten der Unvollkommenheit.
Die Figuren sind lebendig, ehrlich, manchmal sperrig, immer echt. Jede Begegnung trägt eine Spannung in sich – nicht laut, sondern tief. Es ist diese Mischung aus Schmerz, Humor und Befreiung, die „Furchen und Dellen“ so einzigartig macht. Meyer schreibt so, dass man lacht und im nächsten Moment schluckt, weil ein Satz mitten ins Herz trifft.
Ihr Stil ist scharfsinnig, direkt und poetisch zugleich. Sie benennt die Dinge, die andere verschweigen. Sie zeigt, wie sehr wir geprägt werden – von Familien, von Blicken, von den Geschichten, die man uns über uns selbst erzählt. Der Großvater wird dabei zu einer faszinierenden Figur: herrisch, klug, fordernd, und doch tragisch. Durch ihn erkennt Chris, wie sehr Scham, Stolz und Liebe manchmal ineinander übergehen.
Und dann ist da diese alte Hündin, fast ein stiller Zeuge all der Jahre, ein Symbol für Treue, Vergänglichkeit und das leise Weitergehen trotz allem. Zwischen ihr, Chris und dem Kind der Freundesgruppe entsteht eine zarte, generationenübergreifende Verbindung, die einen glauben lässt, dass Heilung möglich ist – langsam, unspektakulär, aber echt.
„Furchen und Dellen“ ist ein Roman über das Wiederfinden der eigenen Stimme. Über das Eingestehen von Schwäche. Über das Wachsen an Verantwortung – und das mutige Nein zu Rollenbildern, die nicht passen. Er feiert die Vielfalt von Familienmodellen, den Wert der Freundschaft und die Freiheit, anders zu leben.
Und all das erzählt Ela Meyer mit einer Leichtigkeit, die nie oberflächlich ist. Sie hat diese seltene Gabe, schwere Themen so zu schreiben, dass sie Hoffnung schenken. Dass man nach der letzten Seite das Gefühl hat, leichter zu atmen – vielleicht, weil man verstanden hat, dass auch das eigene Leben Furchen und Dellen hat, und dass genau sie es sind, die uns formen.
Dieses Buch ist kein leiser Trost, sondern ein kraftvolles Aufatmen. Es zeigt, dass Loslassen auch ein Liebesakt sein kann, dass man Vergangenes würdigen darf, ohne es weiterzutragen. Ein Roman über Abschiede, Anfänge und das ungeheure Glück, sich selbst zu verzeihen.
„Furchen und Dellen“ – ein Titel, der Programm ist. Denn was bleibt, sind Spuren. Und manchmal sind es genau diese Spuren, die uns den Weg zurück ins Leben zeigen. Ein warmherziges, kluges und aufrüttelndes Buch, das man mit einem Lächeln und Tränen in den Augen zuklappt. Ein literarisches Geschenk voller Leben, Mut und Licht!
- Herausgeber : GOYA
- Erscheinungstermin : 14. August 2024
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 204 Seiten
- ISBN-10 : 3833748133
- ISBN-13 : 978-3833748134
- Abmessungen : 13.5 x 2.2 x 21.2 cm
- 18 Euro
