
In ihrem Buch „Geraubter Stolz“ erzählt die Sozialwissenschaftlerin Arlie Russell Hochschild die Geschichte von Menschen in Pikeville, einer Stadt in Kentucky, die stark unter wirtschaftlichen und sozialen Problemen leidet. Pikeville liegt in einem Gebiet, das vom Kohlebergbau abhängig war. Heute gibt es hier kaum noch Arbeit, viele Menschen leben in Armut, die Drogenkrise ist groß, und die Zukunft wirkt unsicher. Vor 30 Jahren wählten die meisten Menschen in diesem Bezirk noch die Demokratische Partei. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 und 2024 stimmten jedoch mehr als 80 Prozent für Donald Trump. Hochschild möchte verstehen, warum das so ist.
Sie fragt: Was passiert, wenn Menschen nicht nur ihre Jobs, ihr Einkommen oder ihre Sicherheit verlieren, sondern auch ihren Stolz? Was passiert, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wurde – nicht nur materiell, sondern auch in ihrer Identität, in ihrem Selbstwert? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Buches. Hochschild nennt dieses Gefühl „gestohlener Stolz“. Es beschreibt die Scham, die entsteht, wenn Menschen das Gefühl haben, abgewertet zu werden, obwohl sie ihr Bestes geben.
Hochschild konzentriert sich vor allem auf Männer aus der Arbeiterschaft, die in kleinen Städten und Dörfern leben. Sie trifft sie in Kirchen, in Bars, in Wohnwagenparks und bei Treffen der Anonymen Drogenabhängigen. So kann sie ihre Lebensrealitäten direkt kennenlernen. Diese Männer erzählen von harter Arbeit, von Enttäuschungen, vom Auf und Ab der Familie und vom Verlust alter Traditionen. Hochschild beschreibt eindrücklich, wie diese Erfahrungen das politische Denken beeinflussen.
Ein wichtiger Teil des Buches ist die Analyse eines Ereignisses im Jahr 2017: ein Aufmarsch weißer Nationalisten in Pikeville. Hochschild untersucht, wie die Stadt darauf reagierte, wie die Menschen sich fühlten und welche Ängste und Wut dabei sichtbar wurden. Sie zeigt, dass viele Menschen nicht unbedingt extremistisch sind, sondern dass sie auf politische Botschaften reagieren, die ihre verlorene Würde und ihren Stolz ansprechen. Politiker, die vermitteln, dass den Menschen etwas „gestohlen“ wurde, können damit großen Einfluss gewinnen.
Das Buch beleuchtet auch die emotionale Dimension der Politik. Hochschild erklärt, dass Wut, Scham und Stolz genauso wichtig sind wie ökonomische Faktoren, um zu verstehen, warum Menschen bestimmte Entscheidungen treffen. Die Menschen in Pikeville fühlen sich oft übersehen, nicht ernst genommen und abgehängt. Diese Gefühle wirken sich auf ihr Verhalten und auf ihre politischen Präferenzen aus.
Trotz der düsteren Lage ist „Geraubter Stolz“ nicht nur eine Geschichte des Verlusts und der Enttäuschung. Hochschild zeigt auch Wege, wie Gemeinschaften wieder zusammenfinden können. Sie spricht über Hoffnung, Empathie und die Möglichkeit, dass Dialog und gegenseitiges Verständnis Brücken bauen können – auch in politisch gespaltenen Gesellschaften. Das Buch regt dazu an, die Lebensrealitäten von Menschen ernst zu nehmen, die oft in Medien und Politik übersehen werden.
Insgesamt verbindet Hochschild in diesem Buch persönliche Geschichten, politische Analyse und soziale Forschung. Sie schafft ein Bild davon, wie wirtschaftlicher Niedergang, kulturelle Veränderungen und politische Botschaften zusammenwirken. Gleichzeitig sensibilisiert sie die Leserinnen und Leser dafür, dass Emotionen wie Stolz und Scham eine große Rolle in der Politik spielen. „Geraubter Stolz“ hilft, die Hintergründe des Aufstiegs rechter Bewegungen zu verstehen – nicht durch einfache Erklärungen, sondern durch das genaue Zuhören bei denen, die diesen Wandel erlebt haben.
Das Buch ist damit sowohl eine Untersuchung der politischen Gegenwart als auch ein Appell zur Empathie. Es zeigt, dass politische Entscheidungen nicht nur auf Zahlen und Fakten beruhen, sondern auch auf tiefen menschlichen Gefühlen. Wer die Mechanismen hinter dem Aufstieg rechter Bewegungen verstehen will, findet in Hochschilds Arbeit wertvolle Einblicke.
„Geraubter Stolz“ von Arlie Russell Hochschild ist eine beeindruckende und einfühlsame Analyse der sozialen und politischen Veränderungen in den USA. Hochschild verbindet persönliche Geschichten mit fundierter Forschung, zeigt eindrucksvoll die Rolle von Stolz und Scham und eröffnet Wege zu Verständnis und Empathie in gespaltenen Gemeinschaften.
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- Herausgeber : Hamburger Edition
- Erscheinungstermin : 15. September 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 360 Seiten
- ISBN-10 : 3868548750
- ISBN-13 : 978-3868548754
- Abmessungen : 14.8 x 3.1 x 21.9 cm
- 30 Euro