
Es gibt Biografien, die nicht nur ein Leben erzählen, sondern ganze Epochen in ihrem Spiegel sichtbar machen. Andreas Molitors monumentales Werk Hermann Göring: Macht und Exzess gehört zu dieser seltenen Kategorie. Mit scharfem Blick, erzählerischer Wucht und analytischer Brillanz entfaltet Molitor das Panorama einer Figur, die schillernder, widersprüchlicher und monströser kaum denkbar ist. Hermann Göring, Reichsmarschall, Luftfahrtminister, zweiter Mann hinter Hitler – er ist der Inbegriff des machtversessenen Akteurs, der sich in schillerndem Prunk sonnt, während im Hintergrund eine Welt im Abgrund versinkt.
Molitor gelingt das Kunststück, diesen Mann nicht nur in nüchternen Daten und Fakten zu zeichnen, sondern ihn in szenischen Tableaus lebendig werden zu lassen. Man sieht den jungen Offizier, der vom Heldenmythos der Fliegertruppe beseelt ist. Man erlebt den Karrieristen, der sich mit eiskalter Berechnung und hemmungslosem Opportunismus in die innersten Kreise des „Führers“ katapultiert. Und man staunt – ja, man ist beinahe gebannt – über die Maßlosigkeit, die ihn antreibt: Göring, der unersättliche Sammler, der dekadente Gastgeber auf Carinhall, der Herr über Jagden, Feste und geraubte Kunstwerke. Ein Mann, der zwischen brutaler Skrupellosigkeit und barocker Selbstinszenierung schwankt, ein Dandy der Diktatur, ein Narziss im Schatten der totalitären Maschinerie.
Doch Molitor bleibt nicht bei der Oberfläche stehen. Hinter den prunkvollen Uniformen, hinter den rauschhaften Diners und kostbaren Pelzen zeigt er den skrupellosen Architekten des Schreckens: den Mann, der die „Entjudung der deutschen Wirtschaft“ vorantreibt, der entscheidende Weichen in Richtung Holocaust stellt, der mit eiserner Konsequenz die Vernichtungspolitik des NS-Staates ökonomisch absichert. Molitor entlarvt Görings Pose vom „Mann der Tat“ als zynische Maske, hinter der sich Zerstörung, Raub und kaltblütige Machtpolitik verbergen.
Die Biografie führt atemlos durch die entscheidenden Stationen: von der Kindheit im wilhelminischen Kaiserreich über den Aufstieg im Ersten Weltkrieg bis zum triumphalen Einzug in die nationalsozialistische Elite. Von dort weiter über die Höhen seiner Machtfülle – als Herrscher über die Luftwaffe, als designierter Nachfolger Hitlers – bis hin zu den Abgründen des Scheiterns: die Niederlage der Luftschlacht um England, der zunehmende Kontrollverlust, das Abrutschen in grotesken Luxus, während das Reich in Flammen steht. Am Ende steht Göring, der einstige „zweite Mann im Staat“, in der Zelle von Nürnberg. Verurteilt als Kriegsverbrecher, entzieht er sich dem Galgen mit einer letzten Geste der Hybris: dem Gift, das er wie ein Triumphator über die Gerechtigkeit insgeheim bereithielt.
Molitor schreibt nicht kühl-distanziert, sondern mit einer Sprache, die packt, die Bilder malt, die Atmosphären entstehen lässt. Seine Biografie ist eine Reise durch Exzess und Verderben, durch Pracht und Grauen, durch Macht und Untergang. Er fängt die Faszination ein, die von dieser Figur ausging, ohne jemals der Versuchung des Schönfärbens zu erliegen. Im Gegenteil: Gerade indem er die widersprüchliche Aura Görings ausleuchtet, zeigt er die Abgründe umso deutlicher.
Hermann Göring: Macht und Exzess ist mehr als eine Lebensbeschreibung – es ist ein Sittengemälde des „Dritten Reiches“. Hier wird sichtbar, wie maßlose Geltungssucht und hemmungsloser Luxus Hand in Hand mit Mord und Vernichtung gingen. Es ist das Porträt eines Mannes, der wie kaum ein anderer Täter das Janusgesicht des Nationalsozialismus verkörpert: die rauschhafte Selbstinszenierung und die abgründige Brutalität.
Wer dieses Buch aufschlägt, taucht ein in ein Drama von Shakespearescher Größe: der Aufstieg eines skrupellosen Machtmenschen, die gnadenlose Loyalität zu Hitler, das allmähliche Abgleiten in Dekadenz und Lächerlichkeit – und schließlich das tragische Ende. Molitors Biografie ist ein Werk, das fesselt, das erschüttert, das den Atem raubt. Ein Buch, das zeigt, wie Geschichte in Gestalt eines Einzelnen zu Exzess und Katastrophe gerinnt.
Mit dieser Biografie wird Göring endgültig aus der Nebelwand verharmlosender Mythen herausgeführt. Was bleibt, ist das scharf konturierte Bild eines Mannes, der Macht und Exzess zu seiner Lebensform machte – und dessen Name untrennbar mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte verbunden bleibt.
- Herausgeber : C.H.Beck
- Erscheinungstermin : 21. August 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 411 Seiten
- ISBN-10 : 3406836402
- ISBN-13 : 978-3406836404
- Abmessungen : 14.5 x 3.5 x 22 cm
- 32 Euro