Das Buch „Hitlers queere Künstlerin: Stephanie Hollenstein – Malerin und Soldat“ von Nina Schedlmayer erzählt die außergewöhnliche und widersprüchliche Lebensgeschichte einer Frau, die in keine einfache Schublade passt. Es handelt sich um eine biografische Erzählung, also ein Buch über das echte Leben einer historischen Person – der österreichischen Malerin Stephanie Hollenstein (1886–1944).
Stephanie Hollenstein war eine Frau, die schon früh ihren eigenen Weg ging. Sie wurde in ärmeren, bäuerlichen Verhältnissen geboren, wuchs also nicht in einer wohlhabenden Familie auf. Trotzdem wollte sie Künstlerin werden – etwas, das für Frauen damals sehr ungewöhnlich war. Mit viel Mut und Durchsetzungsvermögen gelang es ihr, an der Kunstgewerbeschule in München zu studieren, was für eine Frau ihrer Herkunft eine große Leistung war.
Schon als junge Frau zeigte Hollenstein, dass sie nicht den Erwartungen ihrer Zeit entsprach. Sie liebte Frauen, was damals als „unsittlich“ galt, und sie lebte offen homosexuell, also als lesbische Frau. Auch in ihrem Auftreten war sie ungewöhnlich: Sie trug oft männliche Kleidung und bewegte sich selbstbewusst in einer Welt, in der fast nur Männer Macht und Einfluss hatten.
Im Ersten Weltkrieg machte sie etwas, das selbst für Männer gefährlich war: Sie verkleidete sich als Soldat, nannte sich „Stephan Hollenstein“ und zog an die Front. Erst später wurde ihre wahre Identität entdeckt. Diese Episode zeigt, wie stark sie sein wollte und wie sehr sie bereit war, Grenzen zu überschreiten, um ihre Ziele zu erreichen.
Als Künstlerin gehörte Hollenstein zur expressionistischen Bewegung. Der Expressionismus war eine Kunstrichtung, in der Gefühle, Farben und innere Erlebnisse wichtiger waren als eine genaue Abbildung der Wirklichkeit. Ihre Bilder zeigen viel Leidenschaft, Kraft und oft auch Leid. Sie verdiente tatsächlich ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst – ein weiterer Beweis für ihre Entschlossenheit und ihr Talent.
Zusammen mit anderen Frauen gründete Hollenstein später eine feministische Künstlerinnengruppe, die sich für die Rechte von Frauen in der Kunst einsetzte. Damit stand sie eigentlich auf der Seite derer, die Gleichberechtigung wollten – mutig in einer Zeit, in der Frauen oft noch kaum Mitspracherecht hatten.
Doch dann kam der Nationalsozialismus an die Macht – und hier beginnt der widersprüchliche Teil ihrer Geschichte. Obwohl die Nazis Homosexualität verfolgten und Künstlerinnen wie sie eigentlich keinen Platz im System hatten, trat Hollenstein in die NSDAP ein, also in Hitlers Partei. Sie schrieb sogar antisemitische Texte, also Schriften gegen jüdische Menschen. Warum sie das tat, ist eine der zentralen Fragen, die Nina Schedlmayer in ihrem Buch stellt.
War Hollenstein überzeugt von der NS-Ideologie? Oder wollte sie nur ihre Stellung als Künstlerin sichern? Hatte sie Angst, ausgeschlossen oder verfolgt zu werden? Schedlmayer geht diesen Fragen auf den Grund – mit viel historischem Wissen, aber auch mit Verständnis für die inneren Widersprüche eines Menschen.
Die Autorin zeigt, dass Hollenstein nicht einfach „gut“ oder „böse“ war. Sie war eine komplexe, vielschichtige Persönlichkeit – eine Frau, die für ihre Freiheit kämpfte, aber sich auch einem mörderischen System andiente. Dieses Spannungsfeld macht sie so interessant.
Schedlmayer schreibt nicht trocken oder wissenschaftlich, sondern spannend wie in einem Roman. Sie lässt Hollensteins Leben lebendig werden, schildert ihre Kämpfe, ihre Liebe, ihre Kunst und ihre politischen Entscheidungen. Dabei zieht sie auch Parallelen zu unserer Gegenwart, in der Identität, Geschlecht, Kunstfreiheit und politische Verantwortung wieder intensiv diskutiert werden.
Das Buch ist also mehr als eine Biografie – es ist auch eine Auseinandersetzung mit Fragen, die heute noch aktuell sind:
Wie gehen Menschen mit gesellschaftlichem Druck um?
Wie viel Anpassung ist erlaubt, wenn man überleben oder Erfolg haben will?
Und kann jemand, der sich für Freiheit einsetzt, gleichzeitig ein Teil eines Unrechtssystems werden?
Die bekannte Künstlerin VALIE EXPORT beschreibt das Buch als ein „fesselndes Porträt einer ambivalenten Künstlerin, das aktueller nicht sein könnte“. Genau das ist es: eine Geschichte voller Widersprüche, Mut, Selbstbehauptung – aber auch moralischer Abgründe.
Nina Schedlmayer gelingt es, eine fast vergessene Frau aus der Geschichte zu holen und zu zeigen, wie komplex das Leben und die Entscheidungen von Künstlerinnen in der NS-Zeit waren. „Hitlers queere Künstlerin“ ist damit ein Buch über Mut, Identität, Schuld und die Suche nach einem Platz in einer feindlichen Welt – erzählt auf eine Weise, die auch Leserinnen und Leser ohne Vorwissen fesselt und nachdenklich macht.
Ein faszinierendes, klug geschriebenes Buch! Nina Schedlmayer zeichnet ein spannendes und feinfühliges Porträt von Stephanie Hollenstein – einer mutigen, queeren Frau zwischen Kunst, Krieg und NS-Zeit. Die Mischung aus gründlicher Recherche und lebendiger Erzählweise macht das Lesen packend. Ein wichtiges, aktuelles Werk über Widersprüche, Mut und Selbstbehauptung. Sehr empfehlenswert!
- Herausgeber : Paul Zsolnay Verlag
- Erscheinungstermin : 16. September 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 320 Seiten
- ISBN-10 : 3552075127
- ISBN-13 : 978-3552075122
- Abmessungen : 13.5 x 2.6 x 20.9 cm