Hybris: Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung – „Original Sin“

Das neue Buch von Jake Tapper und Alex Thompson trägt einen provokanten Titel: „Original Sin“. Gemeint ist damit eine Art „Ursünde“ der amerikanischen Politik. Sie besteht, so die Autoren, in der Entscheidung von Joe Biden und seinem Umfeld, trotz offensichtlicher gesundheitlicher Probleme ein weiteres Mal für das Präsidentenamt zu kandidieren. Diese Entscheidung war nicht nur eine persönliche, sondern eine, die die ganze politische Landschaft der USA geprägt hat – mit dramatischen Folgen.
Die beiden Journalisten, die zu den bekanntesten des Landes zählen, zeichnen das Bild einer Tragödie. Sie zeigen, wie sich Bidens körperlicher und geistiger Abbau immer deutlicher bemerkbar machte, wie engste Mitarbeiter, Familienmitglieder und führende Parteifreunde diese Entwicklung wahrnahmen – und dennoch schwiegen. Statt eine offene Debatte darüber zuzulassen, ob Biden wirklich in der Lage sei, weitere vier Jahre im Weißen Haus zu bestehen, entschied man sich für das Gegenteil: vertuschen, beschönigen, abwiegeln.
Das Buch beschreibt, wie die Angst vor Donald Trump und die Sorge um den Machterhalt die Demokraten lähmten. Anstatt eine jüngere, unbelastete Persönlichkeit als Gegenkandidaten aufzubauen, setzten sie alles auf die Karte Biden. Tapper und Thompson schildern Gespräche hinter verschlossenen Türen, in denen Parteistrategen, Berater und sogar Familienmitglieder Bidens Zustand diskutierten. Man wusste um die Risiken – doch das Eigeninteresse überwog. Viele wollten ihre Positionen behalten, andere fürchteten die Spaltung der Partei. So wurde aus Vorsicht Schweigen, aus Zweifel Loyalität.
Besonders eindringlich zeigen die Autoren, wie stark das Bild nach außen von Inszenierung geprägt war. Reden wurden gekürzt, Auftritte sorgfältig geplant, spontane Begegnungen vermieden. Kleine Aussetzer oder Momente der Verwirrung wurden heruntergespielt oder der Medienkritik zugeschrieben. Doch hinter den Kulissen wuchs die Sorge: War der Präsident wirklich noch in der Lage, die enorme Belastung des Amtes zu tragen?
Tapper und Thompson sprechen offen von einer „Kampagne der Verleugnung“. Mit diesem Begriff meinen sie den bewussten Versuch, die Realität zu verdrängen und der Öffentlichkeit ein Bild zu präsentieren, das mit der Wahrheit kaum noch übereinstimmte. Diese Vertuschung, so ihre These, war letztlich ein entscheidender Faktor dafür, dass Donald Trump wieder erstarken konnte. Denn viele Wählerinnen und Wähler hatten den Eindruck, getäuscht worden zu sein – ein Gefühl, das Trump gezielt ausnutzte.
Der Titel Hybris verweist auf einen Begriff aus der griechischen Tragödie. Hybris bedeutet Überheblichkeit oder Selbstüberschätzung, die unweigerlich ins Verderben führt. In diesem Fall war es die Hybris einer Partei und eines Präsidenten, die glaubten, stärker zu sein als die Realität. Sie dachten, sie könnten den Lauf der Dinge kontrollieren, die Öffentlichkeit täuschen und Trump mit einer schwachen, aber bekannten Figur besiegen. Doch das Gegenteil trat ein.
Das Buch ist keine reine Abrechnung mit Joe Biden, sondern auch eine schonungslose Analyse des Systems. Es zeigt, wie Machtinteressen, Loyalitäten und Ängste eine ganze politische Bewegung lähmen können. Es stellt die unbequeme Frage: Wäre es nicht ehrlicher und verantwortungsvoller gewesen, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen und eine neue Führungspersönlichkeit aufzubauen? Stattdessen entschied man sich für den vermeintlich sicheren, aber riskanten Weg – und verlor alles.
Tapper und Thompson machen deutlich, dass Bidens Entscheidung zur Wiederwahl nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie war eingebettet in eine Kultur der Vertuschung, in das Bestreben, kurzfristige Vorteile über langfristige Verantwortung zu stellen. Diese „Ursünde“ habe den Demokraten nicht nur die Wahl gekostet, sondern dem Land einen gefährlichen politischen Rückschritt beschert: die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus – mit all den Folgen für Demokratie, Gesellschaft und internationale Politik.
Am Ende bleibt der Eindruck einer amerikanischen Tragödie. Sie hat keinen einzelnen Schuldigen, sondern viele Mitverantwortliche: Berater, die schwiegen; Parteigrößen, die nicht widersprachen; Familienmitglieder, die glaubten, Biden schützen zu müssen, und dabei das Gegenteil bewirkten. Und sie zeigt, wie politische Hybris – die Überzeugung, es schon irgendwie zu schaffen – zum verhängnisvollen Irrtum werden kann.
So ist „Original Sin“ nicht nur die Geschichte eines alternden Präsidenten, sondern auch ein warnendes Beispiel dafür, was geschieht, wenn Machtinteresse und Angst die politische Vernunft verdrängen.
„Original Sin“ ist ein packendes, schonungslos ehrliches Buch von Jake Tapper und Alex Thompson. Mit brillanter Recherche und erzählerischer Kraft beleuchten sie die verborgenen Mechanismen der US-Politik. Spannend, aufrüttelnd und hochrelevant – ein Werk, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt.
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- Herausgeber : dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Erscheinungstermin : 20. Mai 2025
- Auflage : 3.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 400 Seiten
- ISBN-10 : 3423264438
- ISBN-13 : 978-3423264433
- Abmessungen : 12.6 x 2.4 x 20.5 cm
- 20 Euro