/ November 5, 2025/ Buch

Was ist vom großen Traum einer gerechten, friedlichen Welt geblieben?
Vor achtzig Jahren, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, schien die Menschheit an einem Wendepunkt zu stehen. In Nürnberg wurden die führenden Nationalsozialisten für ihre Taten zur Verantwortung gezogen – ein historischer Moment. Zum ersten Mal in der Geschichte galt: Niemand steht über dem Recht, auch nicht die Mächtigen. Damit begann die Ära des modernen Völkerrechts, die Hoffnung auf eine Welt, in der Regeln und Gerechtigkeit den Krieg verdrängen würden.

Doch heute, im 21. Jahrhundert, scheint diese Hoffnung zu bröckeln. Kriege und Gewalt prägen erneut die Schlagzeilen: Syrien, die Ukraine, Gaza – Orte, an denen das Leid uns täglich vor Augen führt, wie zerbrechlich das Recht ist. Christoph Safferling, einer der führenden deutschen Völkerrechtsexperten, stellt in seinem neuen Buch die unbequeme Frage: Ist das Völkerrecht gescheitert?

In klarer, verständlicher Sprache zeichnet er die Entwicklung seit 1945 nach – von den Nürnberger Prozessen über die Gründung der Vereinten Nationen bis hin zu den heutigen Konflikten. Safferling erklärt, wie das Völkerrecht eigentlich funktionieren sollte: Es soll Grenzen setzen, Menschen schützen und sicherstellen, dass Kriegsverbrechen bestraft werden. Doch immer öfter wird deutlich, dass diese Regeln in der Realität kaum noch Wirkung zeigen. Wenn Großmächte sich über internationale Gesetze hinwegsetzen, wenn Kriegsverbrecher ungestraft bleiben, wenn politische Interessen wichtiger werden als Menschenrechte – dann verliert das Recht seine Kraft.

Safferling beschreibt diese Entwicklung nicht als trockene Juristerei, sondern als dramatische Geschichte unserer Zeit. Er zeigt, wie die Welt nach dem Kalten Krieg hoffte, dass internationale Gerichte – etwa der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag – für Gerechtigkeit sorgen würden. Doch viele dieser Hoffnungen wurden enttäuscht. Mächtige Staaten wie Russland, die USA oder China entziehen sich oft der Verantwortung. Und auch Europa, besonders Deutschland, steht vor einem moralischen Dilemma: Wir berufen uns auf Werte wie Menschenwürde und Frieden, aber handeln wir wirklich danach?

Mutig benennt der Autor doppelte Standards – etwa, wenn Kriegsverbrechen in fernen Ländern laut verurteilt werden, während in anderen Fällen geschwiegen wird. Er fragt, ob das Völkerrecht noch glaubwürdig ist, wenn es von politischen Interessen überlagert wird. Besonders eindringlich wird er, wenn er zeigt, dass das Recht des Stärkeren wieder an Bedeutung gewinnt – und dass dies die Welt gefährlich instabil macht.

Doch Safferling bleibt nicht bei der Kritik stehen. Er fordert zum Handeln auf. Gerade Deutschland, das nach 1945 so viel aus seiner Vergangenheit gelernt hat, trägt eine besondere Verantwortung. Wir müssen, so sein Appell, konsequent für völkerrechtliche Standards eintreten – in der Außenpolitik, in der Wirtschaft, in internationalen Bündnissen. Denn das Recht, so schreibt er, „verträgt keine Kompromisse“. Nur wenn Staaten sich wirklich an die gemeinsamen Regeln halten, kann die Welt gerechter und sicherer werden.

Das Buch verbindet juristische Analyse mit klaren Worten und menschlicher Dringlichkeit. Es ist kein Fachtext für Experten, sondern ein wachrüttelndes Plädoyer für alle, die verstehen wollen, warum unsere Welt trotz aller Fortschritte wieder in alte Muster zurückzufallen droht. Safferling erklärt, warum Begriffe wie Menschenrechte, Kriegsverbrechen und Völkermord nicht nur juristische Kategorien sind, sondern zentrale Maßstäbe unseres Zusammenlebens.

„Ohnmacht des Völkerrechts“ ist ein Buch über Verantwortung – über das, was wir aus der Geschichte gelernt haben und was wir zu vergessen drohen. Es macht deutlich, dass Frieden kein Zustand ist, der einmal erreicht und dann gesichert bleibt. Frieden ist eine Aufgabe, die immer wieder neu verteidigt werden muss – mit Mut, Konsequenz und dem Glauben an die Kraft des Rechts.

Fazit:
Christoph Safferling legt mit Ohnmacht des Völkerrechts ein aufrüttelndes, kluges und dennoch leicht verständliches Werk vor. Es erklärt die komplexe Welt der internationalen Politik und Justiz auf eine Weise, die jeder nachvollziehen kann – und ruft dazu auf, das Völkerrecht nicht aufzugeben, sondern zu stärken. Ein Buch, das die Gegenwart erklärt, die Vergangenheit reflektiert und Hoffnung für die Zukunft weckt – wenn wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 16. Oktober 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 1.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 320 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3423285060
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3423285063
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.2 x 2.9 x 20.9 cm

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*