
Manchmal entscheidet ein einziger Abend über den Lauf eines Lebens. So ergeht es Hayley Sinclair, die mit großen Hoffnungen die Bühne betritt – voller Leidenschaft, voller Sehnsucht nach dem Applaus, der jede Künstlerin trägt. Doch statt des erträumten Jubels wird sie schon am nächsten Morgen mit einer niederschmetternden Kritik konfrontiert. Ein Schlag, den jede Bühne kennt, und doch trifft er ins Mark. Hayley jedoch ist nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen.
Was folgt, ist eine Geschichte voller Energie, Humor und Menschlichkeit. Denn ausgerechnet der Mann, der ihre Kunst öffentlich zerrissen hat, ist jener Fremde, mit dem sie nach der Premiere eine Nacht voller Nähe, Gespräche und Vertrautheit teilte: Alex Lyons, der Starkritiker. Ein Widerspruch, ein Verrat – und zugleich der Auslöser für eine künstlerische Explosion.
Hayley verwandelt ihre Verletzung in Kunst. Sie nimmt die Erfahrung, die Kränkung, den Zorn – und macht sie zum Stoff ihrer nächsten Performance. Was als Reaktion auf einen persönlichen Konflikt beginnt, wird rasch zu einem Phänomen: Frauen im Publikum fühlen sich verstanden, sie erheben ihre Stimmen, teilen ihre eigenen Geschichten, machen aus Hayleys Show ein kollektives Erlebnis von Befreiung und Selbstbehauptung. Bühne und Leben verschmelzen, und Hayleys Projekt wächst zu einer Bewegung heran.
Doch Charlotte Runcie erzählt nicht nur von Triumph und Empowerment. Sie fragt mit viel Feingefühl: Wohin führt die Wut? Wann ist sie befreiend, wann zerstörerisch? Wie nah liegen künstlerische Leidenschaft und persönliche Verletzlichkeit beieinander? Diese Fragen ziehen sich durch den Roman – und machen ihn zu einem Werk, das nicht nur unterhält, sondern auch bewegt.
Besonders stark ist, wie Runcie ihre Figuren zeichnet. Hayley ist temperamentvoll, verletzlich und voller Ideen – eine Künstlerin, die stolpert und strahlt, die ihre Zweifel nicht versteckt und gerade dadurch berührt. Alex, der vermeintliche Gegenspieler, bleibt trotz seiner Fehler ein Mensch aus Fleisch und Blut; man kann ihn verstehen, vielleicht sogar mögen, auch wenn man sich über ihn ärgert. Und Sophie, deren ruhigeres, privates Leben immer wieder in die Handlung eingeflochten wird, setzt berührende Kontrapunkte: Sie zeigt, dass jenseits des grellen Rampenlichts ebenfalls wertvolle Wahrheiten liegen.
Diese Dreidimensionalität macht den Roman besonders. Niemand ist nur Held oder Bösewicht. Jeder kämpft mit seinen eigenen Widersprüchen, seinen Sehnsüchten und Ängsten. Dadurch entsteht ein erzählerischer Raum voller Empathie, in dem sich Leserinnen und Leser in allen Figuren ein Stück weit wiederfinden können.
„Standing Ovations“ begeistert nicht nur durch die Handlung, sondern auch durch den Ton. Charlotte Runcie schreibt leichtfüßig, klug und mit einem Humor, der niemals verletzt, sondern öffnet. Feministische Themen sind präsent, ja zentral – aber nie als erhobener Zeigefinger, sondern als Einladung zum Mitdenken und Mitfühlen. Die Fragen nach Kunst, Geschlechterrollen, Öffentlichkeit und Bewertungskultur sind eingebettet in eine Geschichte, die Spaß macht, die mitreißt, die nachhallt.
Auch die Atmosphäre des Romans ist besonders. Der Festivalrummel, die Energie der Bühnenauftritte, die Dynamik der Medien – all das fängt Runcie lebendig ein. Man riecht den Staub im Scheinwerferlicht, spürt das Herzklopfen vor dem Auftritt, hört den Jubel oder das Schweigen des Publikums. Gleichzeitig kontrastiert sie dieses Kaleidoskop der Öffentlichkeit mit stillen Szenen aus dem Alltag, die zeigen, dass wahre Entwicklung nicht nur im Rampenlicht geschieht, sondern oft im Verborgenen.
Was bleibt nach der Lektüre? Ein Gefühl von Aufbruch, von Mut und Wärme. „Standing Ovations“ ist ein Roman über das Scheitern – und wie man es in Stärke verwandelt. Über Kritik – und wie sie uns formen kann. Über Frauen, die ihre Stimmen erheben – und damit weit mehr bewegen, als sie ahnten.
Charlotte Runcie ist damit ein Werk gelungen, das klug und unterhaltsam zugleich ist, das Empathie weckt und Diskussionen anstößt, das uns lachen lässt und zugleich tief berührt. Ein Buch, das uns daran erinnert, dass jede Niederlage auch ein Neubeginn sein kann.
„Standing Ovations“ ist ein Roman, der Applaus verdient – und zwar Standing Ovations von seinen Leserinnen und Lesern.
- Herausgeber : Piper
- Erscheinungstermin : 4. Juli 2025
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 336 Seiten
- ISBN-10 : 3492074022
- ISBN-13 : 978-3492074025
- Originaltitel : Bring the House Down
- Abmessungen : 12.8 x 3 x 21 cm
- 25 Euro