
In „Phono sapiens“ setzt sich Oliver Scheibenbogen intensiv mit der Frage auseinander, wie moderne mobile Endgeräte – insbesondere Smartphones – unsere Psyche beeinflussen. Der Autor untersucht, warum diese Geräte für viele Menschen zu einem festen, manchmal übermächtigen Bestandteil ihres Alltags geworden sind und welche Risiken mit einem übermäßigen Gebrauch verbunden sind.
Bereits im Vorwort und der Einleitung macht Scheibenbogen deutlich, dass neue Technologien seit jeher zwischen Begeisterung und Ablehnung spalten. Doch Smartphones sind anders: Sie begleiten uns rund um die Uhr, bieten zahllose Funktionen und beeinflussen damit unser Verhalten und unsere geistige Gesundheit weit stärker als frühere Erfindungen.
Ein großer Pluspunkt des Buches ist seine klare Struktur. Scheibenbogen beginnt mit Begriffsdefinitionen, um Missverständnisse zu vermeiden. Anschließend widmet er sich der Frage, ob Smartphonesucht eine echte Störung oder nur ein übertriebenes Medienthema ist. Er erklärt verständlich und fundiert, dass es durchaus Anzeichen für ein reales Störungsbild gibt, auch wenn der Begriff „Sucht“ in diesem Zusammenhang noch umstritten ist.
Im Herzstück des Buches – Kapitel 4 – geht der Autor auf einzelne Funktionen des Smartphones ein, die besonders süchtig machen können. Er beschreibt detailliert, wie Mobile Gaming, soziale Netzwerke, Binge Watching, Online Shopping und Cyberpornografie Suchtdynamiken auslösen können. Besonders spannend ist, dass Scheibenbogen nicht nur die Phänomene erklärt, sondern auch deren psychologische Wirkmechanismen aufzeigt.
Im Kapitel über die Folgen des exzessiven Gebrauchs wird deutlich, wie vielfältig die negativen Auswirkungen sein können. Themen wie Nomophobie (die Angst, ohne Smartphone zu sein), Fear of Missing Out (FOMO), soziale Irritationen, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden wie „Smartphone-Nacken“ oder sogar das Phantom-Vibrationssyndrom werden anschaulich beschrieben. Dabei wird klar: Das Smartphone ist weit mehr als ein praktisches Gerät – es beeinflusst tiefgreifend unser Wohlbefinden, unsere Beziehungen und unsere Körperhaltung.
Sehr hilfreich ist auch das Kapitel zur Diagnostik. Scheibenbogen stellt verschiedene Fragebögen und Tests vor, mit denen problematischer Smartphonegebrauch erkannt werden kann, darunter den bekannten Smartphone Addiction Scale und den Nomophobia Questionnaire. Diese Instrumente machen das Buch nicht nur für Laien, sondern auch für Fachkräfte interessant.
Besonders positiv hervorzuheben ist, dass Scheibenbogen nicht bei der Problembeschreibung stehen bleibt. Im Bereich Prävention und Behandlung zeigt er Wege auf, wie man problematischen Smartphonekonsum reduzieren kann. Dabei geht es um Maßnahmen wie Medientagebücher, das Ampelsystem zur Einschätzung des eigenen Verhaltens und moderne Therapieansätze. Der Autor erklärt, dass es keine einfachen Lösungen gibt, sondern einen bewussten, strukturierten Umgang braucht.
Ein weiteres spannendes Kapitel ist der Abschnitt über Fallvignetten: Hier schildert Scheibenbogen reale Fälle aus der klinischen Praxis. Diese Geschichten machen die oft abstrakten Probleme greifbar und zeigen, wie sich Smartphonesucht im Alltag auswirken kann – etwa bei einem Mann, der durch exzessives Gaming seine sozialen Kontakte verliert, oder bei einem anderen, der sich in sozialen Netzwerken verstrickt.
Bemerkenswert ist auch, dass Scheibenbogen das Smartphone nicht grundsätzlich verteufelt. Er beschreibt im letzten Kapitel sogar, wie Smartphones als therapeutisches Hilfsmittel genutzt werden können. Mit speziellen Apps oder Programmen können Süchtige unterstützt werden, ihr Verhalten zu ändern – ein innovativer und ermutigender Ansatz.
Stil und Lesbarkeit
Oliver Scheibenbogen schreibt sachlich, aber gut verständlich. Auch komplexe psychologische Zusammenhänge werden klar erklärt, sodass das Buch sowohl für Fachleute als auch für interessierte Laien geeignet ist. Tabellen, Tests und Grafiken helfen zusätzlich beim Verständnis. Man merkt, dass der Autor sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praxisnah arbeitet.
Fazit
„Phono sapiens“ ist ein äußerst lesenswertes Buch für alle, die sich mit der Wirkung moderner Technologien auf die Psyche auseinandersetzen wollen. Es liefert fundierte Informationen, gibt praktische Tipps und bietet einen differenzierten Blick auf ein drängendes gesellschaftliches Thema. Besonders wertvoll ist die ausgewogene Darstellung: Scheibenbogen verteufelt die Technik nicht, sondern ruft zu einem bewussten, verantwortungsvollen Umgang auf.
Das Buch eignet sich ideal für Fachleute aus Psychologie, Medizin und Pädagogik, aber auch für Eltern, Lehrer und alle, die ihr eigenes Smartphone-Verhalten besser verstehen und reflektieren möchten. Wer sich für die psychologischen Auswirkungen der Digitalisierung interessiert, findet in diesem Werk eine hervorragende Einführung.
- Herausgeber : Parodos Verlag; 1. Edition (12. Mai 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 240 Seiten
- ISBN-10 : 396824012X
- ISBN-13 : 978-3968240121
- Abmessungen : 16 x 24 x 2 cm