„Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“ von Francesca Maria Benvenuto ist ein beeindruckendes Debüt, das den Leser auf eine emotionale Reise in das Leben des fünfzehnjährigen Zeno mitnimmt. Zeno sitzt in einem berüchtigten Jugendgefängnis auf der Insel Nisida vor Neapel, weil er einen Jungen erschossen hat, der ihn umbringen sollte. Sein Leben ist geprägt von den harten Realitäten der Straße, Armut und der allgegenwärtigen Gewalt der Camorra, der kriminellen Organisation, die in seinem Heimatviertel Forcella das Sagen hat.
Zenos Geschichte beginnt in einem Umfeld, in dem Kriminalität und Gewalt alltäglich sind. Schon als kleiner Junge musste er früh Verantwortung übernehmen, als sein Vater, ein gewalttätiger Krimineller, ins Gefängnis kam. Mit nur zehn Jahren wurde Zeno zum „Mann im Haus“, während seine Mutter versuchte, die Familie mit ihrer Arbeit als Prostituierte über Wasser zu halten. Doch das Geld reichte nie aus, und so begann Zeno zu stehlen. Es dauert nicht lange, bis ein kleiner Capo, ein niederrangiger Gangsterboss, ihn anheuert, um für ihn Botengänge zu erledigen. Auf einem gestohlenen Roller fährt der zwölfjährige Zeno durch Neapel und liefert Drogenpakete aus – ein gefährlicher Job, der ihn bald ins Visier anderer krimineller Banden bringt.
Die Revierkämpfe der rivalisierenden Clans in den Quartieri, den Stadtteilen von Neapel, sind unerbittlich, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Zeno zwischen die Fronten gerät. Schließlich wird ein Junge auf einem Roller losgeschickt, um ihn zu töten. In einem Akt der Notwehr erschießt Zeno diesen Jungen – eine Tat, die ihn ins Jugendgefängnis bringt, umgeben von den kalten Mauern und dem unerbittlichen Meer, das die Insel Nisida umgibt.
Im Gefängnis erhält Zeno die Chance, seine Gedanken und Erlebnisse niederzuschreiben. Seine Lehrerin ermutigt ihn dazu, seine Geschichte aufzuschreiben, mit der Aussicht, dafür an Weihnachten zwei Tage Ausgang zu bekommen. Was zunächst als Pflichtübung beginnt, entwickelt sich für Zeno zu einem Ventil, um seine Ängste, seine Wut und seine Sehnsucht nach einem anderen Leben auszudrücken. Er schreibt so, wie er spricht – direkt, unverblümt und emotional. Dabei wird klar, wie sehr er von der Liebe zu seiner Mutter und seiner Freundin Natalina getragen wird, die ihm die Kraft geben, durchzuhalten.
Zeno öffnet sich immer mehr und gibt nach und nach tiefe Einblicke in seine inneren Kämpfe und seine Lebensumstände. Er spricht von der ständigen Angst, die ihn begleitet, von der Hoffnungslosigkeit, die das Leben in Forcella prägt, und von der Liebe, die seine einzige Rettung ist. Zeno ist sich bewusst, dass er und seine Familie in einem Teufelskreis aus Armut und Kriminalität gefangen sind, und doch gibt es diesen kleinen Funken Hoffnung, dass es eines Tages anders sein könnte.
Der Titel des Buches, „Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“, steht sinnbildlich für die ausweglose Situation, in der sich Zeno befindet. Das Meer um Nisida, das die Insel von der Außenwelt abschirmt, wird zu einem Symbol für die Isolation und Verzweiflung, die Zeno in seinem jungen Leben erlebt. Doch gleichzeitig ist es auch ein Ort der Sehnsucht – ein Sehnsucht nach Freiheit, nach einem Leben jenseits der kriminellen Machenschaften, die sein Leben bisher bestimmt haben.
Francesca Maria Benvenuto gelingt es in ihrem Roman, die komplexen Emotionen und die raue Wirklichkeit eines jungen Menschen in einer kriminellen Umgebung authentisch und berührend darzustellen. Zenos Geschichte ist nicht nur eine Erzählung über Gewalt und Kriminalität, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über Schuld, Reue und den Wunsch nach einem besseren Leben. Der Schreibstil ist prägnant und ausdrucksstark, was die Intensität von Zenos Erfahrungen noch verstärkt.
Obwohl der Roman in einem düsteren Umfeld spielt, ist er auch von einer gewissen Hoffnung geprägt – der Hoffnung, dass es für Zeno und andere Jugendliche wie ihn einen Ausweg aus dem Kreislauf der Gewalt gibt. Es ist diese Hoffnung, die den Leser bis zur letzten Seite fesselt und tief bewegt zurücklässt.
„Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer“ ist ein beeindruckendes literarisches Debüt, das nicht nur durch seine starke Handlung, sondern auch durch die emotionale Tiefe und die psychologische Komplexität seiner Charaktere besticht. Es ist ein Buch, das nachdenklich macht und lange im Gedächtnis bleibt – eine klare Leseempfehlung für alle, die sich für Geschichten interessieren, die das Leben in all seiner Härte und Schönheit zeigen.
- Herausgeber : Kunstmann, A; 1. Edition (15. August 2024)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 176 Seiten
- ISBN-10 : 3956146018
- ISBN-13 : 978-3956146015
- Originaltitel : L’amore assaje
- Abmessungen : 12.7 x 2 x 19.1 cm