In Fräulein Gold: Nacht über der Havel, dem siebten Band der beliebten „Hebamme von Berlin“-Reihe von Anne Stern, erlebt die Hebamme Hulda Gold eine Stadt am Rande des Umbruchs. Berlin im Jahr 1930 steht unter dem Einfluss wirtschaftlicher Krisen und politischer Unruhen, die die Gesellschaft immer weiter spalten. Während die sogenannten „Goldenen Zwanziger“ endgültig verblassen, macht sich in der Hauptstadt eine Atmosphäre der Unsicherheit breit – eine Stadt, die für Hulda längst nicht mehr in leuchtenden Farben, sondern in dunkleren, ernsteren Tönen erscheint.
Hulda ist nicht nur Hebamme, sondern auch eine starke, warmherzige Frau, die fest in der Gemeinschaft verwurzelt ist und den Frauen und Müttern in schwierigen Zeiten zur Seite steht. Sie sieht ihre Arbeit als Berufung und nimmt sich mit großem Engagement der Nöte und Ängste ihrer Patientinnen an. Als sie versucht, einer schwangeren Frau zu helfen, wird sie zufällig in einen rätselhaften Todesfall verwickelt, der das Leben vieler Menschen in ihrer Umgebung beeinflusst.
Huldas Ermittlungen führen sie an die Havel, wo die jüngere Schwester der Schwangeren, Jutta, Teil einer Jugendgruppe ist, die sich nachts dort trifft. Die Jugendlichen suchen in diesen chaotischen Zeiten Zuflucht, feiern ausgelassen und versuchen, ihre Sorgen zu vergessen. Unter ihnen ist auch ein charismatischer Student und Anführer der Gruppe, der Juttas heimliche Liebe ist. Doch die unbeschwerten Abende nehmen ein jähes Ende, als der junge Mann tot am Ufer gefunden wird. Die Polizei geht zunächst von einem Unfall aus, doch Hulda, skeptisch und neugierig wie immer, spürt, dass mehr hinter diesem Vorfall steckt.
Anne Stern lässt uns durch Huldas Augen die vielen Facetten des Berlins der frühen 1930er Jahre erleben. Während Hulda nach Antworten sucht, gerät sie immer tiefer in ein Netz aus politischen und sozialen Spannungen, die das Leben der Menschen verändern. Die Jugend, die in einer unsicheren Welt ohne klare Perspektiven aufwächst, sehnt sich verzweifelt nach Halt und Sinn. Viele von ihnen finden Trost in Gruppen und Gemeinschaften, die jedoch oftmals radikale und gefährliche Überzeugungen anziehen. So wird die junge Generation nicht nur von äußeren Krisen geprägt, sondern auch durch eine Gesellschaft, die den Halt zu verlieren droht.
Hulda selbst wird in dieser Geschichte vor persönliche und moralische Herausforderungen gestellt. Ihre Untersuchungen zeigen ihr, wie kompliziert und oft unbarmherzig das Leben in diesen Krisenzeiten ist – eine Erkenntnis, die auch sie selbst innerlich bewegt und verändert. Anne Sterns Buch zeichnet sich durch eine gelungene Mischung aus historischem Hintergrund und einem berührenden Einblick in das Leben von Frauen und Jugendlichen aus, die in dieser unruhigen Zeit zwischen den Fronten stehen.
Mit ihrer gewohnt feinfühligen Sprache und detaillierten Beschreibungen erschafft Anne Stern eine intensive Atmosphäre. Man spürt beim Lesen die Düsternis, die über Berlin liegt, und das Brodeln unter der Oberfläche, das die Figuren in den Abgrund reißen könnte. Gleichzeitig verleiht Stern ihrer Hauptfigur Hulda eine einfühlsame Stärke und Menschlichkeit, die Hoffnung inmitten der Dunkelheit vermittelt. In einer Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, kämpft Hulda mit Herz und Verstand für die Menschen um sie herum. So wird Nacht über der Havel nicht nur zu einem fesselnden historischen Krimi, sondern auch zu einem einfühlsamen Porträt einer Stadt und ihrer Bewohner, die den Sturm einer schwierigen Epoche überstehen müssen.
Fräulein Gold: Nacht über der Havel ist eine bewegende Geschichte über Hoffnung, Zusammenhalt und die Suche nach Gerechtigkeit in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist – eine Geschichte, die deutlich macht, wie wichtig Menschlichkeit und Empathie sind, besonders in den dunkelsten Zeiten.
- Herausgeber : Rowohlt Taschenbuch; 1. Edition (12. November 2024)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 448 Seiten
- ISBN-10 : 3499013401
- ISBN-13 : 978-3499013409
- Abmessungen : 13.7 x 3.41 x 21 cm