/ März 2, 2025/ Buch

In Katharina Hartwells Roman Große Lieben geht es um die Freundschaft zweier Mädchen, Maren und Inga, die sich mit dreizehn Jahren über ein Tennisspiel kennen lernen. Anfangs scheint ihre Freundschaft von der typischen Leichtigkeit und Unbeschwertheit der Kindheit geprägt. Doch schnell wird deutlich, dass diese Beziehung von unterschiedlichen sozialen Hintergründen geprägt ist, die ihre Verbindung auf subtile Weise belasten.

Der Roman begleitet die beiden Frauen durch drei Lebensabschnitte: mit 13, 23 und 33 Jahren. Diese Rückblicke und Ausblicke zeigen, wie ihre Freundschaft im Laufe der Jahre immer mehr auseinanderdriftet, obwohl sie immer wieder aufeinandertreffen. Die scheinbare Leichtigkeit der Kindheit wird von der schmerzlichen Erkenntnis ersetzt, dass es in der Erwachsenenwelt schwieriger wird, sich wirklich nahe zu kommen.

Freundschaft und soziale Unterschiede

Zu Beginn der Geschichte ist der Unterschied zwischen Maren und Inga noch nicht offensichtlich. Maren stammt aus einer eher bescheidenen Familie, während Inga aus einer wohlhabenden Familie kommt. Als Kinder spielt dieser Unterschied noch keine Rolle, doch mit dem Älterwerden wird er immer spürbarer. Die Frage nach sozialer Herkunft und ihren Auswirkungen auf eine Freundschaft ist ein zentrales Thema des Buches. Was anfangs als zufälliger Unterschied erscheint, wird später zu einer schmerzhaften Trennungslinie zwischen den beiden.

Besonders eindrucksvoll beschreibt Hartwell, wie die Vergangenheit und die gemeinsame Kindheit langsam zu einer immer mehr verblassenden Erinnerung werden. Was früher selbstverständlich war – etwa, dass Inga immer genug Geld hatte und Maren nicht – erscheint später befremdlich. Es wird deutlich, dass Geld und soziale Herkunft eine immer größere Rolle in der Beziehung spielen. Die Unterschiede, die zunächst keine Bedeutung hatten, treten in den Vordergrund und werfen einen Schatten auf die gemeinsame Geschichte.

Die Kindheit und ihre Risse

Eine der bemerkenswertesten Stellen im Buch beschreibt, wie in der Kindheit ein scheinbar harmloser Moment eine bedrohliche Bedeutung bekommt. Eine Szene auf dem Spielplatz, in der ein Lehrer Maren einen Schluck aus seiner Fanta-Flasche anbietet oder ein Nachbar die Mädchen heimlich durch die Hecke beobachtet, wird im Nachhinein von der kindlichen Wahrnehmung als bedrohlich empfunden. Hartwell lässt in dieser Erinnerung die Unklarheit und Unsicherheit mitschwingen, die bei vielen Mädchen und Frauen auftaucht, wenn sie sich später an solche Momente erinnern.

Es wird sichtbar, wie die kindliche Sichtweise von Machtverhältnissen und Grenzen im Nachhinein eine andere Bedeutung bekommt. War es ein harmloser Witz oder ein Moment, der eine Grenze überschritten hat? Diese Frage bleibt offen und lässt den Leser die Unklarheit und die wachsende Unsicherheit der Charaktere spüren. Die Sprache, die Hartwell verwendet, verstärkt diese Gefühlsebene, indem sie mit Wiederholungen und kleinen, unklaren Andeutungen spielt.

Das Erwachsenwerden und die Distanz

Mit den Jahren wird die Freundschaft von Maren und Inga immer schwieriger. Was früher eine enge Verbundenheit war, wird nun von Distanz und Missverständnissen überschattet. Besonders in den letzten beiden Lebensabschnitten, mit 23 und 33 Jahren, zeigt sich, wie sehr sich die beiden in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Maren wird Schriftstellerin, während Inga weiterhin in der Welt des Geldes und der Macht lebt. Ihre Gespräche und Treffen sind oft von einem Gefühl der Entfremdung geprägt. Der einstige Witz und die Nähe weichen einer subtilen Spannung und einer wachsenden Entfremdung.

Die Frage, die sich im Laufe des Buches immer wieder stellt, lautet: Was bedeutet es, wirklich befreundet zu sein? Können Menschen trotz aller Unterschiede und Distanzen weiterhin als Freundinnen zueinander stehen? Oder ist die Verbindung, die sie einst hatten, nur noch eine Erinnerung, die nicht mehr ausreicht, um die Gegenwart zu stützen?

Die Sprachgewalt von Katharina Hartwell

Katharina Hartwell gelingt es in Große Lieben, die innere Zerrissenheit der Charaktere mit einer ganz besonderen Sprachkraft einzufangen. Ihre Erzählweise ist oft ironisch und von feinem Humor durchzogen, dabei aber nie oberflächlich. Sie beschreibt die inneren Konflikte der Figuren und die sozialen Unterschiede mit einer Präzision, die tief unter die Oberfläche geht. Besonders beeindruckend ist, wie sie unausgesprochene Gefühle und Spannungen zwischen den Zeilen beschreibt. Die Dialoge sind oft von einer Leichtigkeit, die jedoch durch die unausgesprochenen Konflikte und die wachsende Distanz zwischen den Charakteren überschattet wird.

Die Autorin spielt mit den unsichtbaren Dynamiken, die in jeder zwischenmenschlichen Beziehung lauern. Sie lässt immer wieder Raum für Interpretation und Zweifel. So wird der Roman zu einem emotional dichten Werk, das die Leser zum Nachdenken anregt und die Frage aufwirft, wie tief Freundschaften wirklich gehen können.

Fazit

Große Lieben ist ein facettenreicher und tiefgründiger Roman über Freundschaft, soziale Unterschiede, das Erwachsenwerden und die Frage, wie wir uns selbst und anderen gegenübertreten. Katharina Hartwell erzählt mit einer Mischung aus Scharfsinn, Ironie und Melancholie die Geschichte von zwei Frauen, deren Freundschaft trotz aller Differenzen nicht einfach zu definieren ist. Das Buch beschäftigt sich mit den Fragen, was es heißt, sich selbst zu finden, wie man in einer Welt voller patriarchaler Strukturen seinen eigenen Weg geht und was es bedeutet, miteinander wirklich verbunden zu sein.

Wer Freude an literarischen Werken hat, die sich nicht mit einfachen Antworten zufriedengeben, sondern die Widersprüche und Unklarheiten des Lebens aufgreifen, wird Große Lieben als eine bereichernde Lektüre empfinden. Hartwell stellt auf subtile Weise Fragen zu Macht, Identität und der Schwierigkeit, eine echte Verbindung zu anderen Menschen aufrechtzuerhalten. In einem Roman, der sich vor allem durch seine feine Beobachtungsgabe und die Vielschichtigkeit der Charaktere auszeichnet, bleibt am Ende vor allem das Gefühl, dass das, was nicht gesagt wird, oft das Wichtigste ist.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Berlin Verlag (27. Februar 2025)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 368 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3827015014
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3827015013
  • Abmessungen ‏ : ‎ 12.8 x 3.7 x 21 cm
  • 24 Euro

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