Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen (Sozial- und Kulturgeographie)
Ursachen und Hintergründe für das Erstärken extrem rechter Politik werden seit dem Aufstieg der AfD und der Selbstenttarnung des NSU intensiv diskutiert. Allerdings sind keine qualitativen Analysen und differenzierten räumlichen Betrachtungen jenseits von Stadt-Land- oder Ost-West-Polarisierungen vorhanden.
Die dort erstellten Analysen sollen einen vergleichenden Blick auf lokale Konstellationen ermöglichen.
Im Buch enthalten sind dreizehn Beiträge wo die alltägliche und lokale Konstellationen der extremen Rechten nicht ausschließlich, aber meist aus einer qualitativen Perspektive in den Blick gestellt werden. Daran anschliessend erfolgen Debatten, die international (vgl. Gest 2016; Ince 2011; Hochschild 2017) sowie auch im deutschen Sprachraum mit Blick auf das Lokale zunehmend erwähnt werden.
Der Buchinhalt kann – wenn auch nicht trennscharf – zu drei thematischen Felder gebündelt werden, entlang derer der Band organisiert ist: erstens, räumliche Differenzierungen rechter Einstellungen und mögliche Erklärungsansätze; zweitens, rechtsextreme Raumaneignungen in alltäglichen Vergesellschaftungen; und drittens, methodische Herausforderungen qualitativer Rechtsextremismusforschung .
Als erstes Themenfeld liest man Beiträge, die sich den theoretischen und methodologischen Herausforderungen einer Analyse von vermeintlichen und tatsächlichen »räumlichen Muster[n] des Abschneidens« (Belina 2022, in diesem Band) rechter Parteien zuwenden, und reflektiert, welche räumlichen Differenzierungen erklärungsrelevant sein könnten.
Die Autoren beschreiben das rechtsextreme Raumaneignungen in alltäglichen Vergesellschaftungen können höchst unterschiedliche Formen annehmen können: Zum Beispiel sukzessive Verschiebungen des Sagbaren an konkreten Orten sowie die Präsentation rechtsextremer Zeichen und Symbole in alltagsweltlichen Arenen. Die Autoren sind der Meinung das zu rechten Raumaneignungen in alltäglichen Lebenszusammenhängen und deren Normalisierungen auch das offene Zurschaustellen rechtsextremer, völkischer, antisemitischer und xenophober Einstellungen sowie Bedrohungen von und Gewalttaten an Menschen, die diesem Feindbild entsprechen – gehören. Paul Zschocke hat am Muster Leipzig-Grünau eine solche lokale ›Verdichtung‹ rechtsextremer Präsenz und die Kontinuierung rechtsextremer Einstellungen über Jahrzehnte hinweg angezeigt.
Von den meisten Jugendlichen würde das Ausgrenzung von Anderen weniger als politischer Akt begriffen, sondern als Normalität in einem dörf lichen Gefüge, so die Autoren. Zum Spektrum rechtsextremer lokaler Raumaneignungen gehören mithin explizit raumaneignende Strategien, mittels derer lokale Lebenswelten im Sinne der eigenen Ideologie überformt und andere Lebensentwürfe verdrängt werden sollen – als Teil einer (neuen) »Raumordnungsbewegung, die in städtischen und ländlichen Gelegenheitsmilieus agiert«, wie Heitmeyer, Freiheit und Sitzer (2020: 145) im Buch formulierten.
Beim dritten Themenfeld werden Beiträge publiziert, die sich an empirischen Gegenständen den Herausforderungen einer lokal orientierten (qualitativen) Rechtsextremismusforschung wenden. Man ist der Meinung das politische Einstellungen im direkten Kontakt vor Ort ohnehin ein sensibles Thema wären. Interessant ist das in diesem Zusammenhang dass rechtsextreme Akteur:innen bewusst mit Gewalt(androhungen) arbeiten, am Rande und jenseits der Legalität operieren und von ihnen somit eine veritable Gefahr für Forschende ausgehen würden.
Die Autoren sind der Meinung, dass Forschung, die auf Interaktionen mit Anhänger:innen des (extrem) rechten Spektrums – z.B. Interviews und teilnehmende Beobachtung – basiert, forschungsethische und emotionale Herausforderungen birgt, die womöglich nicht zu meistern wären.
Die drei thematischen Felder stellen keine abschließende Liste unterschiedlicher oder gar konkurrierender Zugriffe dar. Im Gegenteil: Wir betrachten sie als Debattenfelder, in denen konzeptionelle Angebote unterbreitet werden, die hilfreich sein können, lokale rechtsextreme Raumaneignungen im Hinblick auf deren Ursachen, Formen und Folgen greif bar zu machen und systematischer zu adressieren. Sie sind daher auch nicht frei von Überschneidungen. Auch ist ein gewisser Fokus auf Ostdeutschland nicht von der Hand zu weisen. Aus unserer Sicht verweist dies aber vor allem darauf, dass es an lokalisierter Forschung zu Westdeutschland mangelt – zumal Rechtsextremismus und extrem rechte Ideologien auch im Westen des Landes keinesfalls abwesend sind – und so womöglich Forschungspraxis selbst dazu beiträgt, den Osten als das Problem zu formieren
- Herausgeber : transcript; 1. Edition (12. April 2022)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 284 Seiten
- ISBN-10 : 3837656845
- ISBN-13 : 978-3837656848
- Abmessungen : 14.5 x 2.1 x 22.2 cm