/ Juli 4, 2023/ Ratgeber

Die ungeahnte Power der Gebährmutter

Leah Hazard

Es war ein Mann, der die Dosierung des Medikaments entwickelt hatte, das Frauen von der Belastung ungewollter Schwangerschaften befreien sollte. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Gynäkologie vom männlichen Blickwinkel geprägt ist. Diagnosen wie ein „komplizierter Uterus“ oder die Vorstellung, dass Gebärmutter und Eizelle passiv in einem Dornröschenschlaf verweilen, sind von überholten Vorstellungen über Frauen geprägt. Diese Gedankengänge betrachten Frauen als das schwächere Geschlecht, das empfängt und abwartet, während sich die Spermien einen Wettlauf ums Überleben liefern. Forschungsergebnisse, die diesem Bild nicht entsprechen, wurden oft in der Wissenschaft vernachlässigt. Warum verstehen wir zum Beispiel immer noch nicht den Sinn des Prozesses, bei dem die Gebärmutterschleimhaut Spermien aktiv speichert, obwohl wir wissen, dass sie dazu in der Lage ist? Diese Ungleichheit und Lücken in unserem Wissen werfen wichtige Fragen auf.

Leah Hazard verdeutlicht in ihrem Sachbuch „Wo alles beginnt“ eindrucksvoll, wie viel medizinischer Fortschritt uns entgeht, da wir immer noch hauptsächlich aus einer männlichen (und weißen) Perspektive auf die weiblichen Geschlechtsorgane schauen. Als Hebamme räumt sie mit einigen Mythen auf und betont gleich zu Beginn, dass weiblicher Ausfluss und Periodenblut nichts Ekliges sind – obwohl die medizinische Forschung weibliche Sekrete oft anders bewertet als andere Körperflüssigkeiten.

Leah Hazard zeigt auf, dass eine häufigere Untersuchung der bakteriellen Zusammensetzung der Gebärmutter möglicherweise Hinweise auf den allgemeinen Gesundheitszustand einer Frau liefern könnte, einschließlich des Risikos, fettleibig zu werden. Die Autorin verdeutlicht auch, wie einfach solche Verfahren sein könnten: Ein einziger Teststreifen in einem Tampon könnte es Frauen ermöglichen, ihre vaginale Gesundheit eigenständiger zu kontrollieren. Dies wäre besonders in Regionen mit schlechter ärztlicher Versorgung ein großer Fortschritt. Und das ist noch nicht einmal die Rede von Fehlgeburten und unerfülltem Kinderwunsch, die weitere wichtige Aspekte sind, die behandelt werden sollten.

Leah Hazard gelingt es in „Wo alles beginnt“ auf beeindruckende Weise, den Feminismus und die medizinische Forschung miteinander zu verbinden. Beim Lesen wird deutlich, wie stark Frauen bei der Vergabe von Forschungsgeldern und Doktorandenstellen im Bereich vaginaler Gesundheit benachteiligt sind. Mir war zuvor nicht bewusst, in welchem Ausmaß diese strukturelle Diskriminierung existiert, obwohl ich mich bereits mit feministischen Theorien beschäftigt hatte. Aus diesem Grund sollte jeder dieses Buch lesen.

Darüber hinaus ist das Buch fantastisch recherchiert. Jede Behauptung wird mit wissenschaftlichen Studien belegt und ist somit vollkommen transparent. Es gelingt selten, dass man sich bei der Lektüre einer medizinischen Abhandlung nicht langweilt, aber in diesem Fall werden immer wieder unterhaltsame oder nachdenkliche Episoden eingestreut, viele davon aus Hazards Erfahrungen als Hebamme.

Die Autorin widersteht der Versuchung, in ideologisch-dogmatische Auseinandersetzungen klar Position für eine Seite zu beziehen. Sie behandelt zum Beispiel das Thema der Pille und das Auslassen der Pillenpause in einem eigenen Kapitel. Während die einen dies als Befreiung und ultimative Gleichberechtigung feiern, da damit zum Beispiel Prüfungsleistungen nicht durch die Periode beeinträchtigt werden, sehen andere die Pille als bedenklichen Eingriff in das Gehirn und seine Entwicklung. Hazard stellt Experten für beide Positionen vor und kommt zu dem Schluss, dass es für jede Frau unterschiedlich gute Lösungen gibt. Eine Pauschalisierung ist also nicht möglich – das ist auch die Botschaft des Buches.

Wow, Leah Hazard hat mit ‚Wo alles beginnt‘ ein fesselndes und wichtiges Buch geschrieben! Mit beeindruckender Recherche verbindet sie Feminismus, medizinische Forschung und persönliche Erfahrungen. Es öffnet die Augen für die strukturelle Diskriminierung in der vaginalen Gesundheit. Dabei bleibt sie sachlich und vielseitig, ohne klare Stellung zu beziehen. Das Buch ist gut lesbar, mit unterhaltsamen Episoden und wissenschaftlichen Studien. Jede Frau sollte dieses Buch lesen, um ihr Verständnis zu erweitern und sich für Gleichberechtigung einzusetze

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantik; 1. Edition (5. Juni 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 416 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3455015786
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3455015782
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.6 x 3.4 x 21 cm

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