Anuradha Roy
Zu Beginn des Buches berichtet die Hauptfigur Sara in Form eines Tagebuchs von ihren ersten Erlebnissen in einem fremden Land, als sie ihr Studium in England beginnt. Später wechselt die Erzählung geschmeidig zwischen einer allwissenden Perspektive und Saras eigenen Gedanken. Dies stellt jedoch keine Schwierigkeit beim Lesen dar, da die Identität der Hauptfigur und der Ort der Handlung immer klar sind.
Die Sprache ist malerisch, poetisch und fesselnd. Die Geschichten der verschiedenen Charaktere sind bewegend und faszinierend. Die Handlung entwickelt sich gemächlich und ruhig, ohne Hektik.
Durch eine Liebesgeschichte entführt uns die Autorin in das Indien der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie beleuchtet politische und religiöse Konflikte anhand einer Dorfgemeinschaft am Rand einer wachsenden Stadt. Diese Erzählung weist viele Bezüge zur Gegenwart auf, und es ist schwer, nicht angesichts von Ungerechtigkeit, Hass und Zerstörung aufzuschreien. Gleichzeitig gibt es jedoch auch wunderschöne und herzerwärmende Momente des Zusammenhalts und der Liebe.
Ich finde die Art, wie die Liebesgeschichte, die Landschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen beschrieben werden, einfach wunderbar. Es sind viele kleine Elemente, die geschickt miteinander verknüpft sind und mir das unbekannte Land lebendig vor Augen führen. Zum Beispiel, wenn der Töpfer den Ton aus dem Teich holt und daraus nach und nach eine imposante Pferdeskulptur formt. Oder wenn der fast blinde Kalligraf mit seinem Hund Chinna durch die Straßen schlendert, um zu seiner alten Arbeitsstelle zu gelangen. Sara beschreibt auch einfühlsam die Entfremdung zu ihrer jüngeren Schwester Tia und erklärt, wie es dazu kam. Die allmählich verschwindenden Traditionen der Töpferei und die dazugehörigen religiösen Feiern im Dorf tragen dazu bei, dass das Buch für mich wie ein Gesamtkunstwerk wirkt, das wirklich lesenswert ist.
Anuradha Roy ist eine hochdekorierte Schriftstellerin, die sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Kultur zuhause ist. Ihre Bücher sind in 15 Ländern übersetzt, sie war für den Man Booker Prize und den Man Asia Prize nominiert. Sie erhielt den DSC Prize for South Asian Literature, den Crossword Prize und den Tata Book of The Year Award. Im Jahr 2020 wurde ihr der renommierte Nilimarani Sahitya Samman Award für ihre Beiträge zur indischen Literatur verliehen. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie auch als Designerin bei Permanent Black, einem unabhängigen Verlag, den sie zusammen mit ihrem Ehemann Rukun Advani gegründet hat. Zudem ist sie eine talentierte Töpferin. Anuradha Roy lebt in Ranikhet, einer Stadt im indischen Himalaya.
Ein meisterhaftes Werk, das durch seine fesselnde Liebesgeschichte, lebendige Landschaftsbeschreibungen und tiefgründige Charaktere begeistert. Ein Lesegenuss voller Emotionen und kultureller Einblicke.
- Herausgeber : Luchterhand Literaturverlag; Deutsche Erstausgabe Edition (14. Juni 2023)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 288 Seiten
- ISBN-10 : 3630877206
- ISBN-13 : 978-3630877204
- Originaltitel : The Earthspinner
- Abmessungen : 14.4 x 2.9 x 22.1 cm