/ Juni 11, 2025/ Buch

Es ist Januar 1945. Ein Winter, so kalt und unbarmherzig wie die Zeit selbst. Schnee bedeckt die schlesischen Dörfer wie ein weißes Leichentuch, während fernes Donnergrollen von Kanonen die eisige Luft zerschneidet. Inmitten dieser Stille vor dem Sturm lebt Frieda, eine junge Mutter, die nichts besitzt außer der zarten Hand ihrer Tochter Erika und dem festen Glauben an die Rückkehr ihres Mannes Karl, der irgendwo an der Front kämpft.

Als die sowjetischen Truppen vorrücken, bleibt ihnen keine Wahl: Sie müssen fliehen. Mit nichts als den Kleidern am Leib und der Erinnerung an einen letzten, innigen Kuss. Damals, als Karl sie noch einmal in die Arme nahm und flüsterte: „Egal, wo du bist – ich werde dich finden.“ Diese Worte hallen in Friedas Herz wie ein Echo der Hoffnung, das sie wärmt, wenn der Wind ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Ihre Flucht wird zur Reise durch eine zerfallende Welt. Menschen, die alles verloren haben, irren durch Schnee und Schlamm. Hunger, Kälte, Verzweiflung – und doch, irgendwo dazwischen, in einem verstohlenen Lächeln oder einem geteilten Stück Brot, blitzt immer wieder ein Funke Menschlichkeit auf. Frieda klammert sich an Erika und an den Gedanken an Karl, wie an den letzten Sonnenstrahl in einem endlosen Winter.

Der Roman entfaltet sich in weiten, fließenden Bögen, erzählt von Verlust, Überleben und unerschütterlicher Liebe. Und dann, Jahrzehnte später, schlägt das Schicksal eine neue Seite auf – diesmal in der Gegenwart.

Die Enkelin von Frieda tritt auf den Plan. In ihrer Stimme klingt Nachdenklichkeit, Zerrissenheit, eine stille Suche nach etwas, das ihr fehlt – vielleicht ein Anker, vielleicht eine Erinnerung, vielleicht ein Teil ihrer selbst. Sie erzählt in der Ich-Form von ihrem Leben, von ihrer Angst vor Nähe, von Beziehungen, die scheitern, bevor sie wirklich beginnen. Immer wieder fragt sie sich: Warum kann ich mich niemandem öffnen? Woher kommt diese Leere?

Als sie unerwartet schwanger wird, beginnt etwas in ihr sich zu regen – ein leiser Wille zur Heilung, zur Veränderung. Doch ihre Mutter schweigt über die Vergangenheit. Es ist, als läge ein dichter Nebel über der Familiengeschichte. Erst als sie ihr alte, vergilbte Briefe überreicht, beginnen sich die Schatten zu lichten. Worte von Frieda an Karl, geschrieben in einer Zeit, in der jeder Tag ein Kampf ums Überleben war. In diesen Briefen erwacht die Vergangenheit zum Leben – eindringlich, herzzerreißend und voller Liebe.

Die Enkelin erkennt langsam: Ihre eigene Geschichte ist verwoben mit dem Leid und der Stärke der Frauen vor ihr. Das Trauma der Flucht, die seelischen Wunden des Krieges, die Sprachlosigkeit, die sich durch die Generationen zieht – all das lebt weiter, unsichtbar, aber mächtig. Und doch, mit jeder Zeile, die sie liest, mit jedem kleinen Stück Wahrheit, das ans Licht kommt, wächst ihre Fähigkeit zur Liebe. Es ist, als würden die Worte ihrer Großmutter ein Herz berühren, das längst aufgehört hatte, zu vertrauen.

Peggy Patzschke hat mit diesem Roman nicht nur ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden lassen, sondern auch ein tief berührendes Porträt dreier Frauen gezeichnet, die durch Jahrzehnte und Schicksale miteinander verbunden sind. Frieda, die starke Mutter voller Hoffnung. Erika, die Tochter, gezeichnet von Entwurzelung. Und schließlich die Enkelin, die langsam den Mut findet, sich zu öffnen – für das Leben, für die Liebe, für ihr ungeborenes Kind.

In sanften Tönen und mit großer Einfühlsamkeit schildert Patzschke das menschliche Drama hinter der Geschichte. Besonders die Liebesgeschichte zwischen Frieda und Karl ist von großer romantischer Kraft. Sie ist wie ein roter Faden aus Licht, der sich durch Kälte, Krieg und Schmerz zieht. Ihr Versprechen, sich wiederzufinden, bleibt bis zur letzten Seite lebendig – wie eine Melodie, die nicht verklingt, auch wenn der letzte Ton längst verklungen ist.

Zwar führen Zeitsprünge durch unterschiedliche Ebenen – von der Flucht über die Kindheit Friedas bis in die Gegenwart – doch auch wenn dies mitunter den Lesefluss stört, wirkt es letztlich wie ein Spiegel der Zerrissenheit, die auch die Figuren in sich tragen. Es braucht Geduld, um die Fäden zusammenzuführen, doch am Ende ergibt sich ein bewegendes Gesamtbild, das lange im Herzen nachhallt.

Fazit:
Peggy Patzschkes Debütroman ist eine Hommage an die Liebe, an den Mut von Frauen und an die heilende Kraft der Erinnerung. Ihre Sprache ist gefühlvoll, ohne kitschig zu sein – romantisch, aber geerdet. Ein Buch, das nicht nur die Schrecken des Krieges zeigt, sondern auch, wie Liebe über Generationen hinweg wirken kann. Ein Buch, das Trost spendet. Und Hoffnung.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Rütten & Loening
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 12. Februar 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 3.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 445 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3352010099
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3352010095
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.5 x 3.8 x 21.5 cm
  • 22 Euro

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