
Book of Lives ist keine klassische Autobiografie mit sauberer Chronologie und bravem Lebenslauf, sondern genau das, was man von Margaret Atwood erwartet: klug, verspielt, eigenwillig und überraschend persönlich. Sie nennt es selbst „so etwas wie Memoiren“ – und das trifft es ziemlich genau. Das Buch fühlt sich an wie ein Streifzug durch Erinnerungen, Gedanken, Begegnungen und Lebensphasen, die zusammen ein vielschichtiges Bild einer der prägendsten Autorinnen unserer Zeit ergeben.
Atwood beginnt bei ihren ungewöhnlichen Anfängen. Als Tochter von Wissenschaftler:innen verbringt sie einen großen Teil ihrer Kindheit nicht in Städten, sondern in der kanadischen Wildnis. Wälder, Tiere, Einsamkeit, Beobachtung – all das prägt früh ihren Blick auf die Welt. Die berühmte Aussage, sie existiere „dank einer riesigen grünen Raupe“, steht sinnbildlich für diese Kindheit voller Natur, Zufall und Staunen. Schon hier wird klar: Dieses Leben folgt keinen geraden Linien.
Später taucht Atwood ein in die literarische Szene, wird Teil der Bohème, beobachtet, schreibt, zweifelt, experimentiert. Sie erzählt von den Anfängen ihres Schreibens, von Erfolgen und Rückschlägen, von Menschen, die sie begleitet und geprägt haben. Dabei geht es nie um Selbstverherrlichung, sondern um Neugier: auf das eigene Leben genauso wie auf andere. Freundschaften spielen eine große Rolle, ebenso ihr Leben mit ihrem Mann Graeme, das sie warm, humorvoll und ohne Kitsch beschreibt.
Natürlich kommt auch ihr bekanntestes Werk nicht zu kurz. Atwood erzählt vom Entstehen des „Reports der Magd“, den sie in den 1980er Jahren in Berlin schrieb – ohne zu ahnen, welche Wucht dieses Buch einmal entwickeln würde. Spannend ist dabei, wie sie zeigt, dass ihre dystopischen Ideen nie reine Fantasie waren, sondern immer aus realen Beobachtungen gespeist wurden. Realität und Kunst greifen bei ihr ständig ineinander.
Was dieses Buch besonders macht, ist die Art des Erzählens. Atwood springt zwischen Zeiten, Themen und Figuren, ganz so, wie Erinnerungen eben funktionieren. Plötzlich tauchen Dichter auf, dann wieder Bären, dann Hollywood-Schauspieler oder politische Ereignisse. Alles wirkt lebendig, bunt und manchmal herrlich schräg. Der Ton ist oft witzig, manchmal nachdenklich, manchmal spitz – aber immer klug.
Gleichzeitig gewährt Atwood tiefe Einblicke in ihr Schreiben. Sie erklärt nicht trocken, wie Literatur funktioniert, sondern zeigt es anhand ihres eigenen Lebens: wie Erfahrungen zu Geschichten werden, wie Beobachtungen sich verwandeln, wie Disziplin, Zweifel und Fantasie zusammenspielen. Man versteht nach der Lektüre besser, warum ihre Texte so präzise, so unbequem und so zeitlos sind.
Die deutsche Übersetzung bringt diesen Ton sehr gut rüber und lässt Atwoods Sprachwitz und Klarheit wirken. Man hat nie das Gefühl, eine ferne literarische Ikone zu lesen, sondern eine wache, neugierige Erzählerin, die ihr Leben betrachtet, ohne es zu glätten.
Book of Lives ist damit kein Buch nur für Fans von The Handmaid’s Tale, sondern für alle, die sich für das Schreiben, für kreative Biografien und für ungewöhnliche Lebenswege interessieren. Es zeigt eine Frau, die ihr Leben nicht als fertige Geschichte präsentiert, sondern als offenes Geflecht aus Erfahrungen, Beziehungen und Ideen. Ein sehr persönliches, intelligentes und oft überraschend heiteres Buch – genauso vielschichtig wie seine Autorin.
Ein faszinierendes, kluges Buch, das weit mehr ist als eine klassische Autobiografie. Margaret Atwood erzählt ihr Leben so vielschichtig, humorvoll und überraschend, wie sie auch schreibt. Erinnerungen, Schreiben und Zeitgeschichte greifen wunderbar ineinander. Persönlich, geistreich und voller lebendiger Begegnungen – ein großes Lesevergnügen und ein tiefer Einblick in einen außergewöhnlichen kreativen Geist.
- Herausgeber : Berlin Verlag
- Erscheinungstermin : 4. November 2025
- Auflage : 2.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 768 Seiten
- ISBN-10 : 3827015383
- ISBN-13 : 978-3827015389
- Originaltitel : Book of lives
- Abmessungen : 13.8 x 5.8 x 22 cm
- 36 Euro
