
„Das Buch der verlorenen Stunden“ von Hayley Gelfuso ist ein faszinierender Roman, der Leserinnen und Leser von der ersten Seite an in eine Welt entführt, in der Erinnerungen nicht nur Gedanken sind, sondern kostbare Bücher. Es ist ein Buch über Zeit, Identität, Verlust und Hoffnung – und zugleich eine wunderschöne Geschichte über eine junge Frau, die lernt, dass sogar die dunkelsten Stunden einen Sinn bekommen können, wenn man den Mut hat, ihnen zu begegnen.
Im Mittelpunkt steht Lisavet, ein junges Mädchen, dessen Leben sich an einem einzigen Abend völlig verändert. Ihr Vater, ein angesehener Uhrmacher, erkennt die Gefahr, die auf sie zukommt, und versteckt sie in einer geheimen Bibliothek. Doch diese Bibliothek ist kein gewöhnlicher Ort: Sie existiert außerhalb von Raum und Zeit, und in ihren Regalen werden alle menschlichen Erinnerungen in Form von Büchern aufbewahrt. Jede Erinnerung, jeder Moment, jede Erfahrung – alles findet hier seinen Platz. Nur wenige Menschen wissen von dieser Bibliothek, und die sogenannten Zeithüter wachen darüber, welche Erinnerungen bewahrt und welche für immer gelöscht werden sollen.
Von Anfang an wirft der Roman eine große Frage auf: Wer entscheidet, woran wir uns erinnern – und woran nicht? Erinnerungen können Trost spenden, können Kraft geben, aber auch schmerzhaft sein. Manche Menschen möchten die Vergangenheit auslöschen, um ein anderes Bild von sich selbst oder der Welt zu schaffen. Doch was passiert, wenn Erinnerungen verschwinden, die uns geprägt haben? Was geht verloren, wenn wir vergessen, wer wir waren?
Als Lisavets Vater nicht mehr zurückkehrt, bleibt sie allein in dieser riesigen, geheimnisvollen Bibliothek. Doch anstatt einfach abzuwarten, beginnt sie selbst aktiv zu werden. Sie sammelt Erinnerungen, die eigentlich ausgelöscht werden sollen, und bewahrt sie in einem eigenen Buch. Sie entscheidet sich dafür, nicht tatenlos zuzusehen, wie wichtige Geschichten vernichtet werden. Damit zeigt „Das Buch der verlorenen Stunden“, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen – auch wenn man sich klein oder hilflos fühlt.
Eine entscheidende Wendung tritt ein, als Lisavet eines Abends einem Zeithüter folgt. In sicherem Abstand beobachtet sie ihn und entdeckt, dass er eine besonders wertvolle Erinnerung in Händen hält: ein sehr dicker Band, der einem mindestens hundertjährigen Menschen gehören muss. Doch statt das Buch als Ganzes zu vernichten, reißt der Zeithüter nur den Einband ab und wirft die Seiten achtlos ins Feuer. Er handelt ohne Gefühl, ohne Nachdenken, als wäre das Löschen von Erinnerungen nichts weiter als eine Routine. Dieser Moment prägt Lisavet tief, denn ihr wird klar, wie wenig manchen Zeithütern bewusst ist, welche Bedeutung diese Bücher haben. Ohne zu zögern springt sie hervor und rettet das Buch – ein mutiger Schritt, der ihr Leben verändern wird.
Auf ihrem Weg trifft Lisavet schließlich auf Ernest, einen anderen Zeithüter, der anders ist als die restlichen. Während viele Zeithüter nur Befehle ausführen, beginnt Ernest zu zweifeln. Er erkennt die Bedeutung von Erinnerungen und beginnt, Lisavets Mut zu bewundern. Zwischen ihnen entsteht eine Verbindung, die tiefer geht als ihre Rollen in der Bibliothek. Ernest wird zu Lisavets Verbündeten – und vielleicht sogar zu mehr. Der Roman stellt dabei eine weitere zentrale Frage: Kann die Liebe uns vor dem Schlimmsten bewahren?
Gemeinsam versuchen die beiden, die Wahrheit über die Bibliothek, die Zeithüter und die Macht der Erinnerungen zu verstehen. Ihre Entscheidungen beeinflussen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern den Lauf der gesamten Geschichte. Was sie entdecken, zeigt, dass Erinnerungen nicht nur Schmerzen bringen können, sondern auch Hoffnung, Menschlichkeit und eine Vision davon, wer wir sein könnten.
„Das Buch der verlorenen Stunden“ ist ein Roman voller Atmosphäre, Magie und Gefühl. Er lädt dazu ein, über die Bedeutung der Vergangenheit nachzudenken und darüber, wie sehr Erinnerungen uns formen. Gleichzeitig erzählt er eine spannende, emotional berührende Geschichte über Mut, Vertrauen und das Finden der eigenen Stimme – in einer Welt, in der nichts sicher scheint und in der das Erinnern selbst zu einem Akt des Widerstands wird.
Es ist ein Buch, das man nicht nur liest, sondern erlebt – voller Bilder, Gedanken und Momente, die man lange mit sich trägt.
- Herausgeber : dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Erscheinungstermin : 13. November 2025
- Auflage : 2.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 480 Seiten
- ISBN-10 : 342328496X
- ISBN-13 : 978-3423284967
- Originaltitel : The Book of Lost Hours
- Abmessungen : 13.8 x 4.35 x 21.5 cm
- 23 Euro
