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„Die Tiefe“ ist kein Buch – es ist ein Erlebnis, ein Sog, ein literarischer Strudel, der einen hinabzieht in Erinnerung, Geschichte, Identität und die bewegende Frage, was uns formt: Herkunft oder Entscheidung? Ishbel Szatrawska erschafft mit diesem Werk einen unverwechselbaren Klangraum, in dem Vergangenheit und Gegenwart nicht nacheinander stehen, sondern gleichzeitig pulsieren. Jeder Satz wirkt, als trüge er das leise Echo von Jahrhunderten, und jede Figur scheint mehr als nur Mensch zu sein: Sie ist Erinnerung, Trauma, Hoffnung – und Sehnsucht.
Die Geschichte beginnt im Herzen eines Landes, das selbst eine zerrissene Identität trägt: Ostpreußen, eine Region, in der Polnisches, Masurisches, Deutsches und Litauisches seit jeher aufeinandertreffen, sich reiben, verschmelzen und widersprechen. Dieser Ort wird im Roman nicht nur beschrieben, er wird fühlbar. Er riecht nach Wald und kaltem Wasser, nach überlieferten Geschichten, nach dem schweren Klang von unausgesprochenen Wahrheiten.
Im Zentrum stehen mehrere Generationen einer Familie – jede von ihnen geprägt von den politischen Erschütterungen und den tiefen emotionalen Rissen der Zeit. Da ist Janka, die Großmutter, deren Leben von Mut, Verlust und Geheimnissen getragen wird. Da ist Gudrun, eine aristokratische Frau, die sich weigert, alles dem Chaos der Geschichte zu überlassen. Und Max, der deutsche Chirurg – ein Liebender, ein Suchender, ein Mensch, der zwischen Loyalität und Leidenschaft zerrieben wird.
Die Vergangenheit ist jedoch niemals abgeschlossen, und so treten neue Stimmen hinzu: Gertraud, Wolf und schließlich Alicja, die jüngste Erbin dieser Geschichte. Sie ist Anthropologin – jemand, der Geheimnisse normalerweise mit methodischer Distanz betrachtet. Doch plötzlich steht sie selbst im Zentrum eines Rätsels: Soll sie das alte, verwunschene Haus an der Guber behalten oder verkaufen? Dieses Haus, das mehr als nur Stein ist – es ist Speicher, Wächter, Spiegel. Jeder Raum scheint mit Geschichten gefüllt, jeder Schatten trägt einen Namen.
Mit unerschütterlicher erzählerischer Kraft führt der Roman uns durch die dunklen Jahre des Krieges: der Fall von Königsberg, der Untergang von Rastenburg, das unaufhaltsame Vordringen der Roten Armee. Schmerz, Flucht, Verlust – doch Szatrawska schildert sie nicht als kalte Fakten, sondern als vibrierende menschliche Erfahrung. Man fühlt, wie das Alte zerbricht und das Neue noch keinen Namen hat.
Dann folgt die Zeit des Schweigens: das kommunistische Polen, eine Epoche, in der die Vergangenheit hinter Gesten, Blicken und flüsternden Gesprächen verborgen wird. Und schließlich die Gegenwart – eine Zeit, in der die Wunden nicht mehr ignoriert werden können und ein neuer Konflikt beginnt: nicht zwischen Ländern, sondern zwischen Erinnerung und Zukunft.
„Die Tiefe“ ist ein Buch über das, was im Verborgenen lauert – in Familien, in Landschaften, in Herzen. Es ist ein Roman voller atmosphärischer Bilder, voller Fragen, die noch lange nach der letzten Seite nachhallen. Wer dieses Buch liest, wird nicht nur Zeuge einer Familiengeschichte, sondern einer ganzen Region, einer Epoche, eines inneren und äußeren Wandels.
Ein Werk, das atmet. Ein Werk, das brennt. Ein Werk, das verbindet.
Ein Buch, das sich nicht nur liest – sondern erlebt wird.
- Herausgeber : Verlag Voland & Quist
- Erscheinungstermin : 15. September 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 450 Seiten
- ISBN-10 : 3863914147
- ISBN-13 : 978-3863914141
- Originaltitel : To¿
- Abmessungen : 14.7 x 3.7 x 20.4 cm
- 28 Euro
