Ian McEwan, George Orwell
George Orwell, bekannt für seine kämpferische Haltung im Spanischen Bürgerkrieg und seine wegweisenden Romane, zeigt überraschend Verständnis für die Unabhängigkeit des Schriftstellers, sich von der Politik abzuwenden, wie er in seinem Essay „Im Innern des Wals“ anhand Henry Millers verdeutlicht. Ian McEwan, in seiner bedeutenden „Orwell Memorial Lecture“ 2021, betrachtet Orwells Konzept des unpolitischen Schriftstellers kritisch, insbesondere in einer Zeit, die von neuen Autoritarismen und dem Klimawandel geprägt ist. Er hinterfragt, ob es heute überhaupt noch möglich ist, sich abseits politischer Einflüsse zu positionieren, angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen.
Orwell sieht D.H. Lawrence als jemanden, der in seinen Ansichten und Lebensauffassungen nicht im Einklang mit der zeitgenössischen Welt steht. Lawrence schildert ein Leben, das sich um grundlegende und sinnliche Elemente wie Sex, Tod und Natur dreht – für Orwell eine veraltete Vorstellung. Trotz Lawrences Flucht nach Mexiko und seinem frühen Tod sieht Orwell seinen grundlegenden Ansatz nicht als vergeblich an. Dieser geht tiefer als die gängigen Auffassungen und bewegt Menschen in ihrem Lebens- und Liebesverständnis. Orwells Interpretation von Joyces „Ulysses“ als Lebensführung ohne religiöse Leitung lenkt jedoch von der faszinierenden Vision eines brillanten Schriftstellers wie Lawrence ab. Er betont zwar die technischen Neuerungen, doch letztlich dienen sie dem Zweck, ein Leben ohne göttliche Führung darzustellen.In etwa 1928 entstand einer von drei wirklich amüsanten Witzen, die das Magazin Punch seit dem Ersten Weltkrieg produzierte. Er handelt von einem unausstehlichen Jugendlichen, der seiner Tante mitteilt, dass er vorhabe, zu schreiben. Als die Tante nach dem Thema fragt, antwortet der Jugendliche ernüchternd: „Liebe Tante, man schreibt nicht über etwas Bestimmtes, man schreibt einfach.“ Dieser Witz spielt auf die englische Abneigung gegen Revolutionen an.
In den 1930ern war die englische Kommunistische Partei eine kleine und beinahe illegale Gruppierung, deren Hauptschwerpunkt darin bestand, die Labour Party zu verunglimpfen. Diese Sammlung von Essays reflektiert das subtile politische Leben jener Zeit und darüber hinaus in die düsteren 40er Jahre. W.H. Audens Gedicht „Leben“ charakterisiert das politische Klima präzise: „Morgen sind es die jungen Poeten, die wie Bomben explodieren, Spaziergänge am See, Wochen vollkommener Harmonie; Morgen die Fahrradrennen, Die durch Vorstadtstraßen an Sommerabenden führen. Aber heute, der Kampf. Heute das bewusste Steigern der Todesgefahren, Das bewusste Akzeptieren der Schuld des notwendigen Mordes; Heute die Entfaltung von Kräften in flachen, vergänglichen Broschüren und langweiligen Treffen.“ Meine Rezension kratzt nur an der Oberfläche von Orwells Werk, denn seine Schriften behandeln so viel mehr. Die Enthüllung des Titels offenbarte eine tiefe Bedeutung. Er beschäftigt sich mit Bergarbeitern, England, Tolstoi und Lear, Politik und der englischen Sprache (ein meisterhafter Essay) sowie vielem mehr.
Ein beeindruckendes Werk! Mit subtiler Brillanz thematisiert Orwell gesellschaftliche Komplexitäten. Seine Schriften sind auch heute noch relevant und prägnant.
- Herausgeber : Diogenes; 1. Edition (23. August 2023)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 128 Seiten
- ISBN-10 : 3257072635
- ISBN-13 : 978-3257072631
- Originaltitel : Inside the Whale /
- Abmessungen : 11.9 x 2.2 x 18.6 cm