
Jörg Baberowskis Buch Die letzte Fahrt des Zaren nimmt den Leser mit in die dramatischen Tage des Februar 1917, als das Russische Zarenreich in wenigen Tagen zusammenbrach. In einem mitreißenden Erzählstil schildert er die letzten Momente der Herrschaft von Zar Nikolaus II., der den Ernst der Lage bis zuletzt nicht erkannte. Wie in einem spannenden Film fängt Baberowski die Atmosphäre ein und zeigt, wie sich Geschichte innerhalb weniger Tage entscheidend wenden kann.
Der Zar verlässt Petrograd – eine fatale Entscheidung
Während in den Palästen der Hauptstadt Petrograd noch gefeiert wird, brodelt es auf den Straßen. Der Krieg hat das Land ausgezehrt, die Menschen hungern, und die Proteste nehmen zu. Trotzdem wiegen sich die Mächtigen in Sicherheit. Innenminister Protopopow versichert dem Zaren, dass die Ordnung aufrechterhalten werden kann. Beruhigt verlässt Nikolaus II. mit seinem luxuriösen Hofzug die Stadt, um die Truppen an der Front zu inspizieren. Er ahnt nicht, dass er Petrograd nie wieder betreten wird. Diese Entscheidung markiert den Anfang vom Ende der Monarchie.
Ein Imperium zerbricht in wenigen Tagen
Kaum ist der Zar fort, überschlagen sich die Ereignisse. Arbeiter, Soldaten und einfache Bürger verbünden sich gegen die Regierung. Was als Protest für mehr Brot beginnt, wächst zu einer Revolution. Die Demonstrationen werden größer, die Polizei kann die Unruhen nicht mehr eindämmen. Immer mehr Regimenter verweigern den Befehl, auf die Aufständischen zu schießen, und schließen sich stattdessen der Revolution an. Innerhalb weniger Tage verliert die Regierung die Kontrolle.
Baberowski beschreibt eindrucksvoll, dass nicht nur große historische Prozesse, sondern auch die Unsicherheit und Fehleinschätzungen einzelner Menschen zum Untergang des Zarenreichs führen. Wichtige Entscheidungsträger zögern, handeln widersprüchlich oder ignorieren die Dramatik der Lage. Der Zar selbst ist weit entfernt von Petrograd und erfährt nur verzögert von den Entwicklungen. Seine Generäle, die ihn als Belastung empfinden, verhindern seine Rückkehr in die Hauptstadt und raten ihm stattdessen zur Abdankung.
Die Abdankung des Zaren – das Ende einer Ära
Nikolaus II. steht vor einer Entscheidung, die sein Leben und das Schicksal Russlands für immer verändern wird. Er hadert mit dem Gedanken, auf den Thron zu verzichten, doch der Druck wächst. Schließlich unterzeichnet er das Abdankungsdokument. Damit verzichtet er nicht nur auf seine eigene Krone, sondern auch auf die seines Sohnes. Die über 300 Jahre andauernde Herrschaft der Romanows endet abrupt.
Doch die Abdankung bringt keine sofortige Stabilität. Die provisorische Regierung unter Alexander Kerenski übernimmt zwar die Macht, doch das Chaos hält an. Die Revolution ist noch lange nicht beendet.
Das Schicksal des Zaren und die nächsten Entwicklungen
Nach seiner Abdankung wird Nikolaus II. mit seiner Familie unter Hausarrest gestellt. Die Lage bleibt unübersichtlich, und verschiedene politische Kräfte ringen um Einfluss. Wenige Monate später, im Oktober 1917, ergreifen die Bolschewiki unter Lenin die Macht. Sie errichten eine kommunistische Diktatur und machen endgültig Schluss mit der alten Ordnung.
Baberowski gelingt es, diese Umbruchszeit nicht nur sachlich zu beschreiben, sondern den Leser auch emotional mitzunehmen. Man spürt die Unruhe in Petrograd, die Unsicherheit der Politiker und die Ohnmacht des Zaren. Die Revolution ist nicht nur ein historisches Ereignis, sondern ein Zusammenspiel von Menschen, Entscheidungen und Zufällen.
Ein Buch über Macht, Zufall und verpasste Chancen
Die letzte Fahrt des Zaren ist mehr als eine Geschichtserzählung. Es ist eine Reflexion über Macht, politische Fehleinschätzungen und die Rolle des Zufalls in der Geschichte. Der Zar hätte anders handeln können – doch seine Unfähigkeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen, besiegelte sein eigenes Schicksal und das seines Landes.
Das Buch zeigt eindrucksvoll, wie schnell politische Systeme ins Wanken geraten können, wenn ihre Führer den Bezug zur Realität verlieren. Baberowski macht Geschichte lebendig und greifbar, indem er nicht nur große politische Zusammenhänge schildert, sondern auch die persönlichen Dramen der Beteiligten einfängt.
Für alle, die sich für die russische Geschichte und die Umbrüche des frühen 20. Jahrhunderts interessieren, ist dieses Buch eine faszinierende Lektüre. Es verbindet historische Genauigkeit mit einer fesselnden Erzählweise und macht deutlich, wie nah Triumph und Tragödie oft beieinanderliegen.
- Herausgeber : C.H.Beck; 1. Edition (20. März 2025)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 380 Seiten
- ISBN-10 : 340683048X
- ISBN-13 : 978-3406830488
- Abmessungen : 15.3 x 3.5 x 22.1 cm
- 28 Euro