/ September 26, 2024/ Buch

„Die Schwarzgeherin“ von Regina Denk ist ein intensiver und fesselnder Roman über das Leben der 18-jährigen Theres, die in einem abgelegenen Tal in den Tiroler Alpen Ende des 19. Jahrhunderts lebt. In einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft kämpft sie für ihre Freiheit und Selbstbestimmung, was sie in einen tiefen Konflikt mit den Erwartungen und Traditionen ihrer Gemeinschaft bringt.

Das Leben in Theres‘ Heimatdorf ist hart und entbehrungsreich. Das Dorf ist von der Moderne und den Entwicklungen der Aufklärung weitestgehend unberührt geblieben, was zu einem konservativen und starren Weltbild führt, das vor allem von Männern kontrolliert wird. Theres hat jedoch ihren eigenen Kopf: Sie ist stolz, mutig und entschlossen, sich den strengen Regeln des Dorfes nicht zu fügen. Schon von klein auf zeigt sie eine Widerstandskraft und eine Unabhängigkeit, die im Kontrast zu den Frauen ihrer Zeit stehen.

Eines Tages taucht der geheimnisvolle Fremde Xaver im Tal auf, und Theres verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Xaver ist ein Außenseiter, und es dauert nicht lange, bis die Dorfbewohner ihn für einen Wilddieb halten. In einer stürmischen Nacht stellen die Männer des Dorfes dem vermeintlichen Wilderer eine Falle, doch der Vermummte kann schwer verletzt entkommen. Am nächsten Tag ist Xaver spurlos verschwunden, und Theres verkündet verzweifelt, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Dieser Skandal stürzt sie ins soziale Abseits. Um den gesellschaftlichen Zwängen und der Schande zu entkommen, flieht Theres in die wilde Einsamkeit der Hochalpen, wo sie plant, ihre uneheliche Tochter Maria in Freiheit und fernab der rigiden Strukturen des Dorfes großzuziehen.

In den Bergen beginnt Theres ein hartes, aber unabhängiges Leben. Sie will von dem leben, was ihr die Natur schenkt, und die Freiheit genießen, die sie im Dorf nie hatte. Doch die Berge sind kein sicherer Zufluchtsort. Die Einsamkeit und die ständigen Herausforderungen des Überlebens in der Wildnis sind allgegenwärtig. Gleichzeitig wird Theres von ihrer Vergangenheit verfolgt. Die Dorfbewohner vergessen sie nicht, und die Gerüchte über sie und ihre Tochter reißen nicht ab. Auch die inneren Konflikte, die durch ihre Liebe zu Xaver und ihre Rolle als Mutter hervorgerufen werden, lassen Theres nicht los.

Die Beziehung zwischen Theres und ihrer Tochter Maria steht im Zentrum des Romans. Maria wächst in der Abgeschiedenheit auf, und während sie das selbstbestimmte Leben ihrer Mutter bewundert, sehnt sie sich auch nach einem Platz in der Gemeinschaft, den sie nie richtig hatte. Der Roman wechselt immer wieder zwischen Theres‘ und Marias Perspektive, wodurch der Leser Einblicke in die Gedanken und Gefühle beider Figuren erhält. Diese unterschiedlichen Blickwinkel bereichern die Erzählung und zeigen, wie verschieden Mutter und Tochter mit ihrer Isolation umgehen.

Die sprachliche Gestaltung des Romans ist besonders hervorzuheben. Regina Denk schafft es, die raue, düstere Atmosphäre der Tiroler Berge und des Lebens in einem abgeschiedenen Dorf authentisch und bildhaft darzustellen. Durch ihre eindringliche Sprache und die Verwendung von Dialektelementen wird die Geschichte lebendig und ermöglicht es den Leser*innen, tief in die Welt von Theres und Maria einzutauchen. Der Roman vermittelt nicht nur ein Gefühl der historischen Zeit, sondern lässt die Natur und die soziale Enge des Dorfes intensiv spürbar werden.

Trotz aller Härte und Entbehrungen finden sich im Roman auch Momente der Hoffnung und des Mutes. Theres‘ Kampfgeist und ihr unerschütterlicher Wille, ein freies und unabhängiges Leben zu führen, machen sie zu einer faszinierenden Figur. Sie stellt sich den gesellschaftlichen Erwartungen und bricht mit den traditionellen Rollenbildern, die Frauen ihrer Zeit auferlegt wurden. Auch Maria entwickelt ihren eigenen Weg und versucht, ihren Platz in der Welt zu finden, obwohl sie durch die Entscheidungen ihrer Mutter in eine Randposition gedrängt wurde.

Regina Denk gelingt es in „Die Schwarzgeherin“, eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur von der Suche nach Freiheit handelt, sondern auch von den Grenzen dieser Freiheit in einer feindlichen und konservativen Umgebung. Theres‘ Wunsch, unabhängig zu leben, kollidiert immer wieder mit den harten Realitäten des Lebens in den Alpen und den Vorurteilen der Dorfgemeinschaft. Dieser innere und äußere Konflikt sorgt für eine ständige Spannung im Roman, die die Leser*innen bis zum Schluss fesselt.

Der Roman ist nicht nur eine Geschichte über das individuelle Streben nach Freiheit, sondern auch ein tiefgründiger Kommentar über die sozialen Strukturen und die Stellung der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft. Die psychologische Tiefe der Charaktere und die fein gezeichneten Beziehungen zwischen ihnen verleihen der Erzählung eine besondere Intensität.

Wer Geschichten wie „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler oder „Das finstere Tal“ von Thomas Willmann liebt, wird in „Die Schwarzgeherin“ eine ebenso kraftvolle und atmosphärische Lektüre finden. Der Roman vereint Spannung, sprachliche Raffinesse und starke Frauenfiguren, die in einer rauen und oft erbarmungslosen Umgebung ihren eigenen Weg suchen.

„Die Schwarzgeherin“ ist ein beeindruckender Roman über Mut, Freiheit und den Kampf gegen gesellschaftliche Zwänge. Die bildhafte Sprache und die starke Protagonistin fesseln von Anfang an. Regina Denk bringt die raue Schönheit der Alpen und die emotionale Tiefe der Figuren meisterhaft zum Leben.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Droemer HC; 1. Edition (2. September 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 416 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3426447231
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426447239
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.6 x 3.31 x 21.8 cm
  • 586 Gramm
  • 24 Euro

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