/ Oktober 7, 2019/ Ratgeber, Zeitgeschehen

Wie Ärzte und die Pharmaindustrie uns süchtig machen

von Beth Macy 

In den USA sterben täglich um 250 Menschen an Opioiden – genau so viele passen in eine Boeing 787. Diese unglaubliche Zahl zeigt ein viel zu wenig bekanntes Problem. In der Altersgruppe der unter 50-jährigen stellt die Ãœberdosis an Schmerzmitteln oder Drogen zu den häufigsten Todesursachen – nach Waffengewalt oder Verkehrsunfälle.

Die meisten später Süchtigen erhielten Schmerzmittel legal vom Arzt ihres Vertrauens verordnet – für Diagnosen, bei denen weniger radikale und Sucht erzeugende Mittel ausgereicht hätten.

Motiviert wurden die Ärzte wiederum – durch Zugaben der Pharmaindustrie – zu genau diesen Verordnungen und langfristigen Folgerezepten motiviert. Oft erfolgt die Verordnung nach einem Sportunfall oder einer Operation. Milliardenprovite stehen im Raum.

Dazu passend hat vor wenigen Tagen der Pharmakonzern Johnson & Johnson 572 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen müssen da in den Marketingkampagnen süchtig machende Schmerzmittel verharmlost wurden.


Die preisgekrönte Journalistin und Sachbuchautorin Betty Macy wurde 2012 auf die Heroinepidemie in den Südstaaten aufmerksam und erkannte bald, dass zahlreiche Süchtige und an einer Ãœberdosis Verstorbene als „Einstiegsdroge“ legal erhältliche Schmerzmittel wie Oxycodon, Vicodin oder Fentanyl erhalten und verwendet haben. Oft brachte sogar eine Ãœberdosis genau dieser Mittel den Tod.

Stellvertretend reiste die Autorin reiste durch die USA und sprach mit Süchtigen oder Hinterbliebenen über die in den Abgrund führenden Lebenswege auf der Frage nach dem Warum. Dabei konzentrierte die Autorin ihre Recherchen besonders auf das Appalachen-Gebiet, das nach weitgehender Einstellung der Kohleförderung seit längerem zur sozialen Problemregion geworden ist.

Ganze Familien sind von Opioiden abhängig und sich entsprechende Todesfälle häufen sich.

Die sehr persönliche Schilderungen der Autorin zu tragischer Lebenswegen von unter 20-jährigen gehen dabei ganz besonders unter die Haut:

“ Zuhause angekommen traf Bisch auf zwei Rettungssanitäter in seinem Vorgarten an. Zu der Zeit besuchte sein Sohn Eddie die Oberstufe der Highschool, spielte Fußball, bekam ordentliche Zensuren und hatte wollte eine örtliche Kochschule besuchen. Eddie klagte, dass es ihm nicht gut ginge, aber sein Vater wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass er an schweren Entzugserscheinungen litt.

Der Vater hatte seinen Sohn in Verdacht, getrunken und vielleicht auch Pott geraucht zu haben, aber Pillen hatte er nie in Betracht gezogen. ..Der Rettungssanitäter teilte ihm mit, das sein Sohn ‚Oxy‘ genommen hätte. ‚Was zum Teufel ist denn Oxy?‘, wollte Bisch wissen. Als Ed Bisch zum ersten Mal von OxyContin hörte, war sein Sohn bereits daran gestorben.“ (S. 82 f.) Die Autorin stellt auch den Aufstieg der Firma Purdue dar, die genau mit diesem Mittel durch aggressives Marketing zum großen Player wurde und – vergleichbar mit den langjährigen Argumenten der Tabak-Konzerne – jegliche Mitverantwortung für die um sich greifende Sucht von sich wies.

Auch in Deutschland ist die Abhängigkeit eine Gefahr – das erwähnt Prof. Dr. Christoph Stein (Charité Berlin) an beunruhigenden Zahlen – denn auch in Deutschland ist der Verbrauch opiodhaltiger Schmerzmittel in den letzten Jahren in beunruhigendem Maße gestiegen ist. Bisher hat die mediale Öffentlichkeit das wirklich zur Kenntnis genommen.

Ein erschütterndes Buch, das auch hierzulande zum Nachdenken anregen sollte!

  • Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (26. August 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453272277
  • ISBN-13: 978-3453272279
  • Größe und/oder Gewicht: 14,4 x 4,5 x 21,8 cm

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