/ Juni 16, 2025/ Buch

Stell dir vor, du findest plötzlich eine alte Postkarte deiner Großmutter – von einer Frau, von der du bis dahin kaum etwas wusstest. Genau das passiert den Zwillingsschwestern Lilit und Lina el Shami in Montréal. Die beiden sind in Kanada geboren, Enkelinnen libanesischer Auswanderer, und leben nach dem frühen Tod ihrer Eltern bei ihrem liebevollen, aber geheimnisvollen Großvater Maroun. Als sie eines Tages diese Postkarte entdecken, beginnt für Lilit eine Reise, die sie weit über Kontinente und Jahrzehnte hinwegführen wird – bis in den Nahen Osten und tief in ihre eigene Familiengeschichte hinein.

Ein Roman wie eine Rakete in drei Stufen

Der Aufbau des Buches ist clever und symbolisch zugleich: wie bei einer Weltraumrakete, die in drei Stufen abhebt, ist auch der Roman in drei Abschnitte gegliedert. Die Kapitel folgen dabei einem Countdown von 50 bis 0 – als würden wir direkt mit der Geschichte ins All starten. Und genauso fühlt es sich auch an: Je tiefer man eintaucht, desto mehr Ballast fällt ab, desto klarer wird die Sicht auf das, was war – und was sein könnte.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Pierre Jarawan verknüpft auf beeindruckende Weise zwei echte historische Ereignisse: den Raketenstart der Lebanese Rocket Society im Jahr 1966 – ein fast vergessenes Kapitel arabischer Raumfahrtgeschichte – und die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020. Diese zwei Punkte auf der Zeitlinie sind der Rahmen für eine Geschichte, die gleichzeitig politisch, persönlich, poetisch und tragikomisch ist.

Lilit begibt sich auf Spurensuche, reist nach Beirut, ein Land, das sie nur aus Erzählungen kennt – und das gerade in einer tiefen Krise steckt. Dort entdeckt sie nicht nur die faszinierende Geschichte ihrer Großmutter Anoush, sondern auch viele unbequeme Wahrheiten über Herkunft, Trauma, Erinnerung und das Leben ihrer Familie im Spannungsfeld von Flucht, Sehnsucht und Neubeginn.

Eine Geschichte über Identität, Mut und das Erinnern

„Frau im Mond“ ist viel mehr als ein klassischer Familienroman. Es geht um Identität – darum, wer wir sind, wenn wir nicht alles über unsere Herkunft wissen. Es geht um Mut – den Mut, unbequeme Wahrheiten auszugraben. Und es geht um Erinnerung – und was passiert, wenn wir sie verdrängen oder vergessen. Denn, wie Jarawan eine Figur sagen lässt: „Wenn wir uns nicht erinnern, machen wir uns zu Komplizen der Täter.“

Die Geschichte nimmt dich mit nach Armenien, in den Libanon und nach Kanada – drei Länder, drei Generationen, ein Netz aus Geschichten, in dem alles miteinander verbunden ist. Es geht um Migration, um den Völkermord an den Armeniern, um Träume, die mit Raketen in den Himmel geschossen werden – und um eine Frau im Mond, die mehr ist als nur ein poetisches Bild.

Poetisch, politisch, persönlich

Jarawan schreibt unglaublich atmosphärisch, seine Sprache ist mal leicht und humorvoll, dann wieder tieftraurig und eindringlich. Jede Figur ist lebendig gezeichnet, du kannst sie fast riechen, hören, anfassen. Vor allem aber ist da dieser feine Humor, mit dem selbst die schwersten Themen nie belehrend oder trocken wirken. Und es sind diese starken Bilder, die im Kopf bleiben – von einem Kind, das in den Himmel schaut, von Raketen, die Hoffnung tragen, und von einer Frau, die den Mond berührt.

Ein Roman, der aufwühlt – und Hoffnung macht

„Frau im Mond“ ist ein Buch, das du nicht so schnell vergisst. Es zeigt dir den Libanon und seine Geschichte auf eine Weise, wie du sie wahrscheinlich noch nie gesehen hast – menschlich, nahbar, tiefgründig. Es ist ein Roman über Frauen, die sich ihren Platz erkämpfen. Über Männer, die nicht alles erzählen können. Über eine Gesellschaft, die zwischen Tradition und Aufbruch schwankt. Und über das Schreiben selbst – denn Lilit, die Erzählerin, ist Dokumentarfilmerin und wird zur Chronistin ihrer eigenen Geschichte. Damit wird auch das Erzählen zum Thema – und das ist ebenso klug wie berührend umgesetzt.

Fazit:

Ein bewegender Roman über Herkunft, Erinnerung, Emanzipation und den Blick in die Sterne. Für alle, die Geschichten lieben, die unter die Haut gehen und zugleich neue Welten eröffnen. „Frau im Mond“ ist ein SPIEGEL-Bestseller – völlig zurecht. Ein Buch wie ein Raketenstart: voller Energie, überraschend, poetisch – und mit großer Strahlkraft.

Unbedingt lesen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Berlin Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 4. April 2025
  • Auflage ‏ : ‎ 3.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 496 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3827014999
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3827014993
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.8 x 4.3 x 22 cm
  • 26 Euro

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