Stell dir mal vor, fast neun Millionen Tierarten leben auf der Erde. Das ist echt verrückt viel – überall krabbelt, rennt, schwimmt oder fliegt irgendwas rum. Und auch wenn wir das oft gar nicht so bewusst wahrnehmen, sind Tiere halt ständig Teil unseres Lebens. Sei’s der Hund, der einen morgens zum Spaziergang zwingt (auch wenn man noch halb pennt), die Katze, die sich auf der Couch zusammenrollt, oder der kurze Blickkontakt mit einem Fuchs im Wald – all das macht unser Leben irgendwie reicher.
Genau diese enge Verbindung zwischen uns und Tieren stellt die Künstlerin Jenny Jinya (eigentlich Jenny Hefczyc) in ihren Comics in den Vordergrund. Aber sie macht nicht einfach süße Tierbildchen, sondern zeigt ziemlich gnadenlos auf, wie wir Menschen mit Tieren oft umgehen: nämlich richtig mies. Viele ihrer Comics sind dabei total traurig, teilweise richtig herzzerreißend. Aber genau das soll einem eben die Augen öffnen – und ja, jede Träne bedeutet auch, dass noch Hoffnung da ist. Weil wer noch mitfühlt, kann ja sein Verhalten ändern.
Mit ihrem Webcomic Loving Reaper hat Jenny übrigens schon 2019 angefangen. Die ersten beiden Sammelbände kamen dann 2021 (gleich auf Englisch und Französisch) raus, und 2024 folgte noch mal je ein zweiter Band in beiden Sprachen. Auf Deutsch gab’s das Ding aber lange nicht – was schon irgendwie komisch war, weil sie ja selber Deutsche ist. Immerhin hatte der Panini-Verlag sie schon vorher ins Boot geholt und Beiträge von ihr in einem Sammelband über Umweltschutz-Comics veröffentlicht. Eigentlich hätte man da schon sehen können, dass es früher oder später auch „Loving Reaper“ auf Deutsch geben wird.
Und jetzt mal zum Kern: Wer den Titel Loving Reaper versteht, weiß, worum’s geht. „Reaper“ ist ja der Tod, der Sensenmann. Aber in Jennys Comic ist das kein grausamer Knochenmann, sondern eine ziemlich empathische Figur. Er erscheint immer dann, wenn ein Tier stirbt, und begleitet es ganz sanft ins Jenseits. Die Hauptrolle haben dabei aber die Tiere selbst – das sind die „Seelen, die uns brauchten“, wie der deutsche Untertitel es schön sagt.
Das sind aber nicht etwa sprechende Cartoon-Mäuse oder lustige Enten. Eher erinnert das an düstere Tiergeschichten wie „Watership Down“ oder „The Plague Dogs“ – also Geschichten, die einem so richtig aufs Gemüt schlagen. Denn Thema ist hier vor allem das Leiden der Tiere durch uns Menschen: Tierquälerei, Umweltverschmutzung, Gleichgültigkeit. Klingt schon beim Lesen schwer? Ist es auch. Es ist echt kein fröhliches Buch – aber ganz ehrlich, bei einem Comic, auf dessen Cover ein Sensenmann hockt, erwartet man ja auch keinen Feel-Good-Kram.
Jenny erzählt das alles in kleinen Episoden. Jede Geschichte ist relativ kurz (klar, Webcomic halt – fürs schnelle Lesen online). Der Sensenmann taucht meistens erst gegen Ende auf. Danach gibt’s oft noch einen Epilog-Text, der das Ganze erklärt und Fakten liefert. Zum Beispiel wird dann wirklich klipp und klar gesagt, wie viele Hunde jedes Jahr einfach ausgesetzt werden und jämmerlich verenden. Das geht einem schon nahe.
Die Zeichnungen selbst sind dabei auf den ersten Blick recht schlicht gehalten. Das hat aber Methode: Die Bilder sollen online auf kleinen Handybildschirmen schnell verständlich sein. Trotzdem merkt man sofort, dass Jenny zeichnerisch einiges draufhat – gerade die Figur des Schnitters ist total detailreich und anatomisch stimmig gezeichnet. Menschliche Figuren wirken dagegen oft eher so Manga-inspiriert, was vermutlich auch kein Zufall ist.
Was Loving Reaper aber besonders macht: Es zieht einen nicht nur runter, sondern zeigt auch immer wieder Hoffnungsschimmer. Ja, die Comics sind extrem traurig. Richtig traurig. So traurig, dass man sagen könnte: Stell dir die traurigste Szene aus „Dumbo“ vor – aber der ganze Rest des Films wäre noch trauriger und würde nur zeigen, wie der Elefant stirbt. Genau so fühlt sich das oft an. Aber zwischendrin gibt’s immer wieder Momente, die einem das Herz ein bisschen wärmen.
Ein Beispiel ist eine Episode, in der der Sensenmann versucht, einem Hund und einer Katze beizubringen, wie man sein Job als „Todesengel“ macht. Die beiden kriegen viel zu große Kapuzenumhänge und Papp-Sensen. Einfach herrlich albern – und genau solche Szenen geben einem beim Lesen mal einen kleinen Lacher zwischen all den Tränen.
Farblich ist das Ganze meistens ziemlich monochrom und düster. Aber es gibt eine Figur, die immer wieder Farbe reinbringt: das personifizierte Leben. Das Leben und der Tod sind in Jennys Welt nicht Feinde, sondern irgendwie Freunde, die sich gegenseitig respektieren. Die Chemie zwischen denen ist echt schön gezeichnet und hat sogar was Philosophisches. Fans von Neil Gaimans „Sandman“ könnten sich da ein bisschen an Dream und Death erinnert fühlen – auch wenn das hier nicht geklaut wirkt, sondern total eigenständig ist.
Ein echtes Highlight (und so was wie der emotionale Höhepunkt des Buchs) ist die Episode, in der Tod und Leben mal die Rollen tauschen, um einander besser zu verstehen. Während das Leben versucht, verstorbene Tierbabys heimlich wiederzubeleben und aus dem Jenseits zu schmuggeln, steht der Tod plötzlich in einer quietschbunten Welt voller Regenbögen und fliegender Pinguine und merkt, wie kompliziert das mit dem Erschaffen ist. Am Ende bastelt er sein eigenes Lebewesen – das Schnabeltier. Ja genau, dieses irre Vieh, das Eier legt, Milch gibt, im Dunkeln leuchtet und giftig ist. Jenny stellt das halt so dar, als wär das so eine Art Todes-Design-Fail, der dann einfach in der Evolution geblieben ist.
Alles in allem ist Loving Reaper kein Comic, den man mal eben locker wegsnackt. Es ist emotional, traurig und fordert einen echt heraus. Aber es ist auch wunderschön und wichtig, weil es einem klar macht, wie sehr Tiere auf uns angewiesen sind – und wie schlimm es ist, dass wir sie so oft enttäuschen. Wer sich drauf einlässt, kriegt ein Werk, das einem das Herz bricht – und dabei hilft, es vielleicht ein bisschen größer wieder zusammenzusetzen.
- Herausgeber : Panini Verlags GmbH
- Erscheinungstermin : 25. März 2025
- Auflage : 2.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 230 Seiten
- ISBN-10 : 3741642177
- ISBN-13 : 978-3741642173
- Lesealter : Ab 12 Jahren
- Originaltitel : Loving Reaper
- Abmessungen : 17.7 x 2.5 x 25.5 cm
- Teil einer Serie : Loving Reaper
- 29 Euro