
Mitten im Leben und dement ist ein eindringliches, sehr menschliches Buch über eine Krankheit, die viele nicht kennen – und die dennoch erschreckend viele betrifft: die frontotemporale Demenz (FTD). Anders als die bekannteren Demenzformen trifft sie Menschen oft mitten im Leben. Nicht hochbetagt, sondern Mütter, Väter, Partner:innen, Kolleg:innen – manchmal noch keine vierzig Jahre alt. Genau das macht diese Erkrankung so verstörend und für Angehörige so schwer zu begreifen.
Das Buch macht von Anfang an klar, warum FTD so oft übersehen oder falsch eingeordnet wird. Zu Beginn geht es meist nicht um Vergesslichkeit, sondern um Veränderungen der Persönlichkeit. Menschen benehmen sich plötzlich taktlos, enthemmt oder aggressiv. Sie stehlen, lügen, machen verletzende Bemerkungen, verlieren jedes Gespür für Nähe und Distanz. Andere wirken teilnahmslos, kalt oder vollkommen desinteressiert an ihren Mitmenschen. Für das Umfeld ist das oft kaum auszuhalten – vor allem, weil die Betroffenen selbst meist keinerlei Krankheitseinsicht haben.
Margrit Dobler und Anne Rüffer erklären verständlich, was im Gehirn passiert: Bei der frontotemporalen Demenz sterben Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen ab – also genau in den Bereichen, die für Verhalten, Empathie, Impulskontrolle und soziale Regeln zuständig sind. Rund zehn Prozent aller Demenzerkrankungen fallen in diese Kategorie, trotzdem ist das Wissen darüber gering. Kein Wunder also, dass FTD häufig mit Depressionen, Burn-out, Manie oder anderen psychischen Erkrankungen verwechselt wird – oft über Jahre hinweg.
Besonders berührend ist, dass in diesem Buch nicht nur Fachwissen vermittelt wird, sondern vor allem Menschen zu Wort kommen, die mit der Erkrankung leben müssen. Ehepartner:innen, Kinder, Angehörige erzählen offen, wie sich ein geliebter Mensch schleichend verändert. Wie aus einem liebevollen Partner jemand wird, der kalt, verletzend oder völlig fremd wirkt. Wie schwer es ist, die eigene Wut, Scham und Verzweiflung auszuhalten – und gleichzeitig zu wissen, dass all das nicht „Absicht“ ist.
Diese Berichte gehen nahe, ohne sensationsheischend zu sein. Sie zeigen die tägliche Überforderung genauso wie die stille Trauer über den langsamen Verlust eines Menschen, der körperlich noch da ist, innerlich aber immer weiter verschwindet. Besonders eindrücklich ist, wie Kinder beschreiben, dass ihr „Mami“ oder ihr Vater zwar lebt, aber nicht mehr derselbe Mensch ist – und wie sie lernen müssen, mit dieser Leerstelle umzugehen.
Das Buch bleibt dabei nicht im Privaten stehen. Auch der Arbeitsplatz wird thematisiert: Ein Vorgesetzter schildert, was es braucht, um einen Kollegen mit FTD möglichst lange im Betrieb zu halten – und wo die Grenzen liegen. Das zeigt, wie sehr diese Erkrankung alle Lebensbereiche betrifft und wie wichtig Aufklärung, Geduld und strukturelle Unterstützung sind.
Trotz der Schwere des Themas ist Mitten im Leben und dement kein hoffnungsloses Buch. Zwischen Trauer, Wut und Erschöpfung finden sich immer wieder Momente von Nähe, Loyalität und Liebe. Es wird deutlich: Um mit dieser Erkrankung zu leben, braucht es enorme Kraft – aber auch Mitgefühl, Verständnis und Menschlichkeit.
Dieses Buch ist wichtig. Für Angehörige, die sich endlich gesehen fühlen. Für Fachkräfte, die besser verstehen wollen. Und für alle, die begreifen möchten, dass Demenz viele Gesichter hat – und dass hinter jedem davon eine Geschichte von Liebe, Verlust und Verbundenheit steht.
- Herausgeber : Rüffer & Rub
- Erscheinungstermin : 1. Oktober 2024
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 304 Seiten
- ISBN-10 : 3907351312
- ISBN-13 : 978-3907351314
- Abmessungen : 14.7 x 2.7 x 22 cm
- 32 Euro
