Elisabeth von Samsonows „Museum des Anfangs: Mädchen – Pferd – Baum“ ist ein ebenso anspruchsvolles wie faszinierendes Werk, das sich an der Schnittstelle von Philosophie, Kunst und Ökologie bewegt. Die Autorin, selbst Künstlerin und Denkerin, unternimmt eine tiefgreifende Revision bestehender Denkordnungen und stellt dabei zentrale Begriffe unserer Wahrnehmung von Subjektivität, Natur und Kultur infrage.
Die drei Operatoren: Mädchen, Pferd, Baum
Im Zentrum des Buches stehen drei Figuren: das Mädchen, das Pferd und der Baum. Sie fungieren als „Operatoren“, die eine Neuordnung von Subjektivität ermöglichen und sich als transformative Elemente innerhalb unserer kulturellen Konstruktionen erweisen. Das Mädchen, oft als marginalisierte Figur betrachtet, wird bei von Samsonow als mächtige, kulturprägende Entität rehabilitiert. Von den neolithischen Kykladenidolen bis zur Gegenwart zeichnet die Autorin ihre Bedeutung in Kunst und Philosophie nach. Dabei hinterfragt sie, inwieweit das Mädchen nicht nur Objekt, sondern aktiv gestaltendes Subjekt der Ideengeschichte ist.
Das Pferd wiederum erscheint als Vermittler zwischen Mensch und Natur, als Symbol der Kraft, der Bewegung und der Verbindung mit dem Ungezähmten. Es bricht mit der Dichotomie von Natur und Kultur und wird als Mitspieler einer alternativen Ordnung der Welt inszeniert. Der Baum, schließlich, bildet den dritten Eckpfeiler dieses Konzepts. In seiner Verwurzelung und seinem Wachstum wird er zur Metapher für ein ökologisches Denken, das sich dem Anthropozentrismus widersetzt und stattdessen ein Netzwerk an Beziehungen betont.
Eine neue Subjektordnung
Von Samsonows Ziel ist es nicht nur, neue Denkfiguren zu etablieren, sondern auch die Subjektordnung selbst einer Revision zu unterziehen. Sie schlägt eine ganzheitliche Ökologie vor, in der nicht nur der Mensch, sondern auch Tiere, Pflanzen und Dinge als Teil eines großen, vernetzten Ganzen verstanden werden. Dabei bezieht sie sich auf philosophische Traditionen, die lange Zeit marginalisiert wurden, darunter die Leibnizsche Idee der „clara et confusa perceptio“ (klare und zugleich verwobene Wahrnehmung). Diese Art des Denkens erlaubt es, Ambivalenzen und Übergänge anzuerkennen, statt auf klare Trennungen zu beharren.
Stil und Struktur: Zwischen Traktat und Rausch
„Museum des Anfangs“ ist kein klassisches Sachbuch, sondern bewegt sich stilistisch zwischen Essay, Fiktion, Traktat und Katalog. Die Sprache ist oft poetisch, assoziativ und herausfordernd, sodass das Buch weniger als stringente Argumentation, sondern vielmehr als intellektuelles Erlebnis funktioniert. Von Samsonow lädt die Leser*innen ein, sich auf eine schiefe Ebene zu begeben, die sie langsam in eine andere Perspektive gleiten lässt. Das Lesen dieses Werks gleicht daher weniger einem linearen Erkenntnisprozess als einem immersiven Eintauchen in eine neue Denklandschaft.
Fazit
Elisabeth von Samsonow gelingt mit „Museum des Anfangs“ eine eindrucksvolle philosophische Reflexion über alternative Denkweisen und Subjektkonzepte. Das Buch fordert dazu auf, tradierte Muster zu hinterfragen und sich für neue Formen der Wahrnehmung und Interaktion mit der Welt zu öffnen. Es ist anspruchsvoll und vielschichtig, aber gerade in seiner Hybridität von Theorie, Kunst und Literatur überaus reizvoll. Wer sich auf die Reise mit Mädchen, Pferd und Baum einlässt, wird mit einer radikal anderen Sicht auf die Welt belohnt.
- Herausgeber : Sonderzahl; 1. Edition (9. Oktober 2023)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 184 Seiten
- ISBN-10 : 3854496389
- ISBN-13 : 978-3854496380
- Abmessungen : 17.1 x 24.3 x 1.6 cm
- 28 Euro